Wie parasitische Schmetterlinge ihre Wirte täuschen.
Es klingt wie eine Szene aus einem Horrorfilm: Weinend auf der Türschwelle findet man ein kleines Kind und adoptiert es. Doch im Kinderzimmer angekommen, tötet es seine Adoptivgeschwister und isst sie auf. Für einige Ameisenarten ist dieses Szenario grausame Realität, denn die Raupen bestimmter Schmetterlinge, sogenannter Ameisenbläulinge (Maculinea), tun genau das. Sie lassen sich von Ameisenarbeiterinnen in deren Nest tragen, als wären sie der eigene Nachwuchs, um dort deren Larven zu fressen. Einige Arten von Ameisenbläulingen ernähren sich aber nicht von Ameisenlarven; sie lassen sich stattdessen von den ahnungslosen Arbeiterinnen im Nest füttern, ganz ähnlich wie es ein Kuckuck tut. Wie für ihren eigenen Nachwuchs würgen die Ameisen dabei Nahrung hoch und geben sie an die parasitischen Raupen weiter. Warum die Raupen dabei nicht auffallen und aus dem Nest vertrieben werden, hat vermutlich mehrere Ursachen. So besitzen sie beispielsweise ähnliche Duftstoffe wie die Ameisen und täuschen auf diese Weise eine Koloniezugehörigkeit vor. Weiterhin ist von einigen Arten von Ameisenbläulingen bekannt, dass die Raupen Töne von sich geben, die das Verhalten der Ameisen beeinflussen können.
Forscher um Marco Sala haben nun in einer, in der Fachzeitschrift PLOS ONE veröffentlichten, Studie herauszufinden versucht, welche Rolle diese Töne genau spielen. Für ihre Experimente hielten die Forscher im Labor Kolonien der Knotenameise Myrmica scabrinodis. Diese Ameisen werden oft von den parasitischen Schmetterlingen heimgesucht. Die Forscher untersuchten zwei verschiedene Schmetterlingsarten. Die Raupe des Hellen Wiesenknopf-Ameisenbläulings (Maculinea teleius) ernährt sich von Ameisenlarven, lebt also räuberisch, die Raupe des Lungenenzian-Ameisenbläulings (Maculinea alcon) wird von Ameisenarbeiterinnen aktiv im Nest gefüttert. Direkt nach dem Schlupf fressen die Schmetterlingsraupen beider Arten zunächst noch an Pflanzen; ab dem vierten Larvenstadium lassen sie sich zu Boden fallen und sind bereit zur Adoption durch Ameisen. Die Wissenschaftler zeichneten die Töne auf, die von den Schmetterlingsraupen jeweils vor und nach einer Adoption erzeugt wurden sowie die Geräusche von Arbeiterinnen und Königinnen. In einem Verhaltensexperiment spielten die Forscher dann einigen Arbeiterinnen die Töne der Raupen und der Ameisen separat vor und beobachteten ihr Verhalten.
Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass Arbeiterinnen und Königinnen jeweils charakteristische Töne erzeugten. Die Sozialstruktur von Ameisenkolonien, wie der hier untersuchten, ist sehr komplex. Die Tiere kommunizieren nicht nur über charakteristische Düfte, sondern auch akustisch miteinander, um beispielsweise anderen Mitgliedern der Kolonie ihre Zugehörigkeit und ihren sozialen Status mitzuteilen. Selbst wenn es einem Eindringling gelingt, sich in einer Ameisenkolonie chemisch zu tarnen, könnten ihn falsche akustische Signale entlarven.
Die Forscher stellten fest, dass die Raupen beider Schmetterlingsarten sowohl vor einer Adoption als auch danach Töne produzierten. Spielten die Wissenschaftler den Arbeiterinnen Geräusche der Schmetterlingsraupen vor, reagierten diese überhaupt nicht aggressiv. Die Geräusche der Raupen waren nämlich denen der Arbeiterinnen, vor allem aber denen der Ameisenköniginnen, sehr ähnlich. Vor der Adoption, also außerhalb des Ameisennestes, dienen die erzeugten Töne bei beiden Schmetterlingsarten vermutlich dazu, vorbeikommende Ameisen so zu manipulieren, dass sie die parasitischen Raupen in eine der Brutkammern hineintragen.
Nach der Adoption, im Inneren des Nests, veränderten sich die Töne der Raupen. Die Analysen zeigten, dass die Raupen des Lungenenzian-Ameisenbläulings ihre Laute so anpassten, dass sie denen der Königin noch ähnlicher wurden. Bei der räuberischen Art war das hingegen nicht der Fall. Die Ameisen reagierten auf die nach einer Adoption abgegebenen Töne des Lungenenzian-Ameisenbläulings ebenso stark, wie sie auf die Geräusche ihrer Königin reagierten. So liefen die Arbeiterinnen direkt auf die Geräuschquelle zu und tasteten mit ihren Fühlern umher. Ein solches Verhalten zeigen Ameisen, wenn sie mit Artgenossen kommunizieren oder Nahrung übergeben. Während die räuberische Schmetterlingsart im Ameisennest lediglich das Ziel verfolgt, die Kolonie zu infiltrieren und danach möglichst unauffällig zu Werke zu gehen, ist es für die andere Art wichtig, in der Kolonie einen bestimmten sozialen Status zu erreichen, damit sie gefüttert wird. Beide Ameisenbläulinge unterwandern also mit unterschiedlichen Strategien Ameisenkolonien und haben dazu erfolgreich deren Kommunikations-Code geknackt.
Geräusche der Raupe des Lungenenzian-Ameisenbläulings nachdem sie von Ameisen adoptiert wurde. (Aufnahme: Marco Sala et al.; CC-BY-4.0-Lizenz)
Vielen Dank für die interessante Seite. Ich war auf der Suche nach Informationen über den Dunklen Wiesenknopfameisenbläuling der im Juni diesen Jahres in unserer Grundschule für die Klassen 3 Gegenstand des fächerverbindenden Unterrichts ist.
Grit Männel