In einem aufwändigen Experiment fanden US-amerikanische Wissenschaftler heraus, wie Krähen Informationen über unliebsame Menschen mit ihren Artgenossen teilen.
Es ereignete sich in seinem eigenen Haus. Zwei Einbrecher überwältigten und töteten ihn. Die Tat blieb jedoch nicht unbeobachtet. Augenzeugen des Mordes waren zwei Raben, die das Opfer in seinem Haus hielt. Die beiden aufmerksamen Vögel verfolgten unter großem Gekrächze und Geschimpfe die flüchtenden Mörder. Scheinbar hatten die Raben die Tat nicht nur beobachtet, sie hatten sich das Aussehen der Räuber gemerkt und die Übeltäter anschließend immer wieder attackiert. Bei dieser Geschichte handelt es sich um die Legende des heiligen Meinrads. Das wilde Gebärden der Raben soll den Mördern schließlich eine solche Angst bereitet haben, dass sie ihre Tat gestanden, woraufhin sie zum Tode verurteilt wurden.
Auch wenn es sich bei der Geschichte von den zwei aufmerksamen Raben des heiligen Meinrads um eine Legende handelt, scheinen sich Raben und Krähen tatsächlich menschliche Gesichter einprägen und mit persönlichen Erfahrungen verbinden zu können. Doch wie schnell können die Vögel wirklich aus einer einzelnen Erfahrung lernen, wie lange behalten sie ihre Erinnerungen und können sie solche Informationen sogar mit ihren Nachkommen und anderen Artgenossen teilen? In einer Studie an Amerikanerkrähen (Corvus brachyrhynchos) haben Wissenschaftler um Heather N. Cornell von der University of Washington in Seattle versucht, diesen Fragen auf den Grund zu gehen. Ihre Arbeit wurde in der Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B veröffentlicht.
Die Forscher untersuchten in einem aufwändigen Experiment freilebende Krähen, die eine einmalige negative Erfahrung mit einem Menschen, der eine Ganzgesichtsmaske trug, gemacht hatten. Über einen Zeitraum von fünf Jahren werteten sie das Verhalten der Vögel aus, als diese erneut den Maskierten sahen, welcher in einigem Abstand von ihnen spazieren ging. Obwohl die negative Erfahrung, welche die Krähen mit dem Maskierten machten, nicht unbedingt schädlich für sie war (sie wurden eingefangen, markiert und wieder entlassen), war sie doch so prägend, dass die Vögel alle Menschen, die diese Maske trugen, auch noch nach Jahren beschimpften und sogar Scheinangriffe wagten. Dabei richtete sich das Verhalten spezifisch auf Personen mit dieser Maske. Auf eine vergleichbare Maske, die mit keiner Erfahrung verbunden war, reagierten die Krähen hingegen gelassen.
Ein genaues Unterscheiden von menschlichen Gesichtern ist für Krähen, die in menschlicher Umgebung leben, sehr wichtig. Bei keinem anderen Feind der Vögel können sich einzelne Individuen so unterschiedlich verhalten, wie dies beim Menschen der Fall ist. So können Menschen zum Beispiel nützlich für die Krähen sein, wenn sie diese füttern, oder aber äußerst unangenehm, wenn sie auf die Tiere schießen. Wenn sich eine Krähe hierbei irrt, könnte dies tödliche Folgen für sie haben. Aber können Krähen solche wichtigen Informationen über individuelle Menschen auch an Artgenossen weitergeben?
Um diese Frage zu beantworten erfassten die Wissenschaftler nicht nur das Verhalten der Krähen, die selbst eine negative Erfahrung mit dem Maskierten gemacht hatten, sondern auch das von anderen Krähen aus der Nachbarschaft sowie Jungtieren, die niemals von dem Menschen mit der Maske eingefangen wurden. Es zeigte sich, dass sich im Laufe des Experimentes immer mehr Krähen beim Schimpfen anschlossen. Diese lernten vom Verhalten der anderen, welcher Mensch gefährlich ist. Ebenso lernten die Jungtiere von ihren Eltern und anderen Krähen, den Menschen mit der Maske zu beschimpfen. Cornell und Kollegen zufolge dient so ein gerichtetes gemeinsames Rufen einer Gruppe von Krähen dazu, einen Feind zu enttarnen, ihn zu vertreiben und anderen Gruppenmitgliedern beizubringen, dass es sich hier um einen Übeltäter handelt.
Um herauszufinden, ob es sich in dem Experiment lediglich um eine unspezifische Gruppenreaktion handelte, oder ob die sich angeschlossenen Krähen ebenfalls gelernt hatten, die Gefahr zu identifizieren, wurden gezielt einzelne Krähen mit dem Maskierten konfrontiert. Würden Tiere, welche niemals eine direkte negative Erfahrung mit dem Menschen mit der Maske gemacht hatten, ebenfalls rufend auf den Maskierten reagieren – ohne den ansteckenden Einfluss einer Gruppe – wäre erwiesen, dass die Vögel von anderen gelernt hätten, die Gefahr selbstständig zu erkennen. Und in der Tat, im Laufe des Experimentes wurden immer mehr Krähen gefunden, die den Maskierten auch einzeln lautstark beschimpften, obwohl sie nie vom ihm eingefangen wurden.
Die Wissenschaftler konnten also zeigen, dass die Krähen gelernt hatten, Informationen über einen Übeltäter an andere Individuen weiterzugeben. So ein Lernen durch die Erfahrung anderer ist sehr nützlich, da es einem erspart, eine negative Erfahrung am eigenen Leib spüren zu müssen. Im Hinblick auf die Ergebnisse dieser Untersuchung kann sich auch das scheinbar wundersame Verhalten der Raben in der Legende des heiligen Meinrads erklären lassen. Das schnelle Geständnis der Mörder hat möglicherweise dazu geführt, dass diese lediglich von zwei und nicht von einer ganzen Gruppe aufgebrachter Raben angegriffen wurden.
Krass! Also interessant, meine ich damit. Besonders überrascht mich, dass sie die negative Erfahrung auch an Jungtiere und in der Gruppe weitergeben. Das muss Hitchcock für „Die Vögel“ wohl auch recherchiert haben. Ist denn das nur bei Krähen der Fall – oder wurde diese Verhaltensweise auch bei anderen Vogelarten beobachtet?
Das gemeinsame Attackieren von Menschen kommt auch bei anderen Vögeln, wie zum Beispiel Möwen, vor, insbesondere während der Brutsaison. Es gibt aber nur wenige Untersuchungen dazu, ob Wildvögel lernen können, individuelle Menschen zu unterscheiden. Das wurde, außer bei Krähen, bislang bei Spottdrosseln und Elstern nachgewiesen. Die Weitergabe dieses Wissens an zunächst unbeteiligte Artgenossen, ist bisher aber nur bei Amerikanerkrähen gezeigt worden.
Elstern auch – sieh an! Echt faszinierend. Danke für die Aufschlauung.
Leider finde ich dazu gerade keine Quelle. Aber ich entsinne mich gelesen zu haben, dass bei den werkzeuggebrauchenden (und -produzierenden!) Geradschnabelkrähen Eltern ihre Jungen im Werkzeuggebrauch unterweisen.
Das ist wirklich spannend. Lernen durch das Beobachten anderer kann zur effektiven Verbreitung von komplexen Informationen oder Verhaltensweisen in einer Gruppe sehr wichtig sein.