Spinnenmännchen sichern sich ihre Vaterschaft auf besonders drastische Weise.
Männliche Spinnen haben im Laufe der Evolution eine ganze Reihe Tricks entwickelt, um Weibchen davon abzuhalten, sich nach der Kopulation mit einem anderen Männchen zu paaren. Dadurch versuchen sie sich ihre Vaterschaft zu sichern. Bei einigen Arten bewacht das Männchen nach der Paarung das Weibchen und verjagt bis zur Eiablage alle Nebenbuhler. Andere Spinnenarten versiegeln die Geschlechtsöffnung des Weibchens nach der Kopulation mit einem Sekret, so dass weitere Paarungen unterbunden werden. Es sind auch Arten bekannt, bei denen das Männchen seine eigenen Genitalien in der Geschlechtsöffnung des Weibchens zurücklässt und diese so blockiert.
Als Wissenschaftler um Pierick Mouginot Weibchen der Art Larinia jeskovi aus der Familie der Echten Radnetzspinnen im Freiland untersuchten, machten sie eine überraschende Entdeckung. Alle Weibchen hatten am Ende der Paarungszeit verstümmelte Genitalien. Könnte sich bei dieser Art eine bislang unbekannte Strategie entwickelt haben, um Weibchen von weiteren Kopulationen abzuhalten?
Die Paarung findet bei Spinnen auf eine einzigartige Weise statt: Männliche Spinnen haben die Taster an ihrem Kopf zu Begattungsorganen entwickelt. Der blasenförmige Anhang am Ende der Taster, Bulbus genannt, funktioniert wie eine Pipette. Diesen befüllt das Männchen mit Sperma aus seinem Hinterleib. Bei einer Paarung wird der Bulbus mit dem Sperma dann in die Geschlechtsöffnung des Weibchens manövriert. Sowohl der Bulbus als auch die Geschlechtsorgane des Weibchens sind bei den meisten Spinnenarten äußerst kompliziert aufgebaut, so dass sie nur bei artgleichen Tieren wie Schlüssel und Schloss zusammenpassen.
Die Wissenschaftler untersuchten das Paarungsverhalten von Larinia jeskovi genauer, um herauszufinden, warum die Genitalien der weiblichen Tiere verstümmelt waren. Ihre Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlicht. Im Labor setzten die Forscher unbefruchtete Spinnenweibchen mit paarungsbereiten Männchen zusammen. Nach der Paarung wurden die Weibchen untersucht. Bei fast allen Tieren war ein bestimmter Fortsatz der Genitalstruktur, der sogenannte Scapus, abgetrennt worden.
Einige der Spinnen wurden von den Forschern während der Paarung mit flüssigem Stickstoff eingefroren, um sie anschließend mit einem Röntgen-Computertomografen zu scannen. So konnten die Wissenschaftler die komplexen Vorgänge bei der Paarung genau untersuchen. Die männlichen Tiere dieser Spinnenart besitzen, neben der eigentlichen spermaübertragenden Struktur, weitere Fortsätze an den Tastern, mit denen sie den Scapus des Weibchens umgreifen und ihn anschließend wie mit einer Klinge abtrennen.
In einem weiteren Versuch setzten die Wissenschaftler genitalverstümmelte Weibchen erneut mit paarungsbereiten Männchen zusammen. Obwohl die Männchen sichtlich an den Weibchen interessiert waren, waren ihre Paarungsversuche nicht von Erfolg gekrönt. Denn ohne den Scapus können die männlichen Kopulationsorgane nicht mehr mit den weiblichen Strukturen verankert werden. Selbst paarungswillige Weibchen werden so daran gehindert, mit weiteren Männchen zu kopulieren. Die Forscher vermuten, dass sich ähnliche Formen der Genitalverstümmelung auch bei anderen Spinnenarten entwickelt haben könnten und vielleicht gar nicht so exotisch sind, wie es zunächst scheint.
Abgesehen davon, dass ich sehr froh bin, ein solches Sexualverhalten bei Spinnen und nicht beim Menschen feststellen zu müssen – heisst das, eine Paarung und dann nie wieder? Wie geht es „danach“ weiter? Stirbt die Spinne nach Eiablage und Brutpflege?
Wenn es um die Arterhaltung geht – welchen Nutzen hat dieses Verhalten? Wenn die Brut nach einer einzigen Paarung verloren geht, gibt es keine Chance, dass die Mutter einer nochmaligen Reproduktion zur Verfügung steht. Damit wäre das Ziel „Arterhaltung“ eine reine Glückssache.
Wie viele andere Lebewesen (zum Beispiel einjährige Pflanzen, Lachse, Tintenfische und viele Insekten) pflanzen sich auch zahlreiche Spinnenarten nur ein einziges Mal in ihrem Leben fort und sterben danach. Bei solchen, als semelpar bezeichneten, Arten werden alle für die Reproduktion verfügbaren Ressourcen in dieses eine Fortpflanzungsereignis investiert.
Die Genitalverstümmelung bei Larinia jeskov beruht allerdings primär auf einem evolutionären Konflikt zwischen den zwei Geschlechtern. Die natürliche Auslese wirkt nämlich nicht wirklich auf die Art und ihren Erhalt, sondern immer nur auf einzelne Individuen, genauer gesagt, auf deren Gene, die beispielsweise dafür sorgen, dass bei den Männchen Strukturen entstehen, die die Weibchen von weiteren Paarungen abhalten. Für ein Männchen ist es von Vorteil, dass sich das Weibchen nur mit ihm fortpflanzt, auch wenn das Nachteile für das Weibchen (und die Art) bedeutet. Das Weibchen hat hingegen ganz andere Interessen. Für einen möglichst hohen Fortpflanzungserfolg muss sie sich mit dem bestmöglichen Partner fortpflanzen. Im Laufe der Evolution kann es dadurch zu einem regelrechten Wettrüsten zwischen den Geschlechtern kommen.