Das besondere Fressverhalten von Waschbären an toten Körpern führt zu Mumifizierungen.
In Knoxville, im US-amerikanischen Bundesstaat Tennessee, liegen die Leichen im Grünen; genauer gesagt liegen sie auf der sogenannten Body Farm (Forensic Anthropology Center) der örtlichen Universität: Hier werden die Zersetzungsprozesse menschlicher Leichen wissenschaftlich untersucht. Viele wichtige Erkenntnisse wurden so bereits gewonnen, die dabei helfen, zum Beispiel die Liegezeit und somit den Todeszeitpunkt von Verstorbenen genauer eingrenzen zu können. Die Untersuchung von Leichenfraß durch Tiere spielt dabei eine wichtige Rolle. Vor allem Insekten, insbesondere Fliegen, fressen an den Geweben toter Körper und verschiedene Arten bevorzugen dabei unterschiedliche Grade der Verwesung.
Neben den recht gut untersuchten Insekten werden aber auch größere Tiere von Leichen angezogen; unter ihnen Waschbären (Procyon lotor). Diese Kleinbären mit der typischen schwarzen Gesichtsmaske stammen aus Nordamerika und haben sich mit Hilfe des Menschen auch in Teilen Europas und Asiens ausgebreitet. Auch in einigen Regionen Deutschlands werden die Tiere immer häufiger. Waschbären ernähren sich unter anderem von Insekten und Würmern, pflanzlicher Nahrung sowie kleinen Wirbeltieren – und eben auch von Aas.
Wiederholt wurden Waschbären dabei erwischt, wie sie auf das Gelände der Body Farm in Knoxville eindrangen und sich an den ausgelegten Leichen zu schaffen machten. Da das Gebiet von Zäunen umgeben ist, müssen die geschickten Kletterer über die hohen Bäume zu den Toten gelangt sein. Forscher um Yangseung Jeong haben das Fressverhalten der Waschbären an den Leichen der Body Farm nun genauer untersucht und ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift Journal of Forensic Sciences veröffentlicht. Das ganze Jahr über werden auf dem Gelände Tote ausgelegt, um verschiedene Aspekte ihrer Zersetzung zu studieren. Diese Leichen untersuchte die Forschergruppe auf Spuren von Waschbären. Täglich besuchten sie dazu die toten Körper und fotografierten sie, um Veränderungen festzustellen.
Tatsächlich waren an etwa der Hälfte der untersuchten Leichen Waschbären zugange. Die Wissenschaftler fanden Kratzspuren und charakteristische Abdrücke an den Toten. Auch benagten die Tiere Knochen von bereits verwesten Leichen. Die Waschbären fraßen zudem vom Fleisch der Leichen; am häufigsten an Armen und Beinen, seltener an Kopf, Rumpf, Fingern und Zehen. Die Forscher stellten fest, dass die Kleinbären bevorzugt in den Sommermonaten kamen. Zu dieser Zeit begannen die Tiere schon nach wenigen Tagen die Leichen aufzusuchen, um an ihnen zu fressen; im Winter geschah dies hingegen erst nach mehreren Wochen. Auch fraßen die Waschbären in den Sommermonaten durchschnittlich nur etwa 10 Tage lang von den verwesenden Leichen, während sie dies in den Wintermonaten etwa 30 Tage lang taten. Die Forscher vermuten, dass der Grund dafür die höheren Temperaturen im Sommer sind, die dazu führen, dass die Zersetzungsprozesse rascher ablaufen und somit das Fleisch für die Waschbären schneller ungenießbar wird.
Wenn die Waschbären von den Armen und Beinen der Leichen fraßen, zeigten sie ein ungewöhnliches Verhalten: Sie machten ein kleines Loch in die Haut und holten mit ihren geschickten Pfoten das Muskelfleisch heraus. So kam es, dass die Haut größtenteils unverletzt blieb, aber merkwürdig eingefallen aussah. Mit diesem Verhalten reduzierten die Waschbären die Fleischmenge und störten dabei aasfressende Insekten, die sich ansonsten über solche weichen Körperteile hermachen. Dadurch kam es bei den toten Körpern deutlich häufiger zu Mumifizierungen. Wird eine Leiche in einem Gebiet gefunden, in dem Waschbären leben, sollten Experten also darauf vorbereitet sein, dass sich die possierlichen Tiere an den Körperextremitäten gütlich tun und somit merklich in den Ablauf der Zersetzungsprozesse eingreifen.