In Kulturlandschaften spielen Krähen eine Schlüsselrolle beim Beseitigen toter Tiere.
Ein Stück Aas, das am Wegesrand liegt und langsam verwest, ist für einige Tiere eine äußerst willkommende Nahrungsquelle. Fliegen gehören oft zu den Ersten, die einen toten Körper entdecken. Totengräber (Nicrophorus spp.) vergraben kleinere Kadaver. Viele Tiere fressen nur gelegentlich an totem Fleisch, wie der Rotfuchs (Vulpes vulpes) oder der Europäische Dachs (Meles meles), die ihre Beute hauptsächlich selbst erlegen und sich auch von pflanzlicher Kost ernähren. Durch das Beseitigen toter Tiere haben Aasfresser eine wichtige Funktion im Ökosystem, da sie Nährstoffe aus Kadavern wieder in den Kreislauf zurückführen und die Ausbreitung von Krankheiten vermindern.
Die durch den Menschen geprägten Landschaften Europas sind durch Siedlungen, Straßen und Landwirtschaftsflächen stark fragmentiert. Viele große aasfressende Wirbeltiere, wie Geierarten, Wolf (Canis lupus) oder Braunbär (Ursus arctos) sind dort sehr selten geworden und beginnen sich erst ganz allmählich – dank intensiver Schutzmaßnahmen – teilweise wieder auszubreiten. Und auch insgesamt ist die Artenvielfalt an Aasfressen in solchen Kulturlandschaften oft relativ gering. Doch was genau passiert mit Aas in diesen Gebieten?
Wissenschaftler um Richard Inger haben nun untersucht, welche Wirbeltiere in ländlich geprägten Gegenden an totem Fleisch zu finden sind. Veröffentlicht haben sie ihre Studie in der Fachzeitschrift Scientific Reports. Für ihre Untersuchungen befestigten die Forscher Rattenkadaver an Holzbrettern und legten diese in Kulturlandschaften im Südwesten Englands aus. Kamerafallen, die tagsüber Farbfotos und nachts Infrarot-Aufnahmen machten, sollten die verschiedenen Arten von Aasfressern ausfindig machen und deren Aktivität dokumentieren. Drei bis vier Tage lang wurden die Rattenkadaver an den Stellen belassen.
Die Aufnahmen der Kamerafallen wiesen an rund 70 Prozent der Rattenkadaver Wirbeltiere nach, die entweder vom Fleisch fraßen oder die Kadaver sogar losrissen und mitnahmen. Die Forscher registrierten neun verschiedene Arten, die sich an den Kadavern zu schaffen machten: Aaskrähe (Corvus corone), Rotfuchs, Dachs, Mäusebussard (Buteo buteo), Hauskatze (Felis silvestris catus), Haushund (Canis lupus familiaris), Waldmaus (Apodemus sylvaticus), Silbermöwe (Larus argentatus) sowie Elster (Pica pica). Allerdings fraßen zu 98 Prozent ausschließlich Aaskrähen von den Kadavern.
Aus Gebieten, die nicht vom Menschen beeinflusst sind, ist bekannt, dass Aas zu etwa gleichen Teilen von ganz verschiedenen Tierarten konsumiert wird. In den untersuchten Kulturlandschaften hingegen, fraßen fast nur Aaskrähen von den Kadavern. Die mobilen und nicht sehr menschenscheuen Krähen scheinen dort gegenüber anderen Aasfressern klar im Vorteil zu sein. Eine einzelne Art ersetzt also zum Großteil die anderen Aasfresser und spielt so eine Schlüsselrolle in diesem vom Menschen geprägten Ökosystem.