Wissenschaftler untersuchten das Erbgut von Heiligen Ibissen, die im alten Ägypten millionenfach geopfert wurden.
In der Kultur des alten Ägyptens spielten Tiere eine große Rolle. Unter anderem kam ihnen in Jenseitsvorstellung und religiöser Praxis eine wichtige Bedeutung zu. Archäologische Funde zeigen, dass es gängig war, Tierkörper zu mumifizieren. Hunde, Katzen, Falken, Krokodile, Ibisse und Spitzmäuse sind nur einige der Tiere, von denen man in Ägypten Mumien gefunden hat. Zum Teil wurde die Mumifizierung mit den gleichen ausgefeilten Methoden durchgeführt, mit denen auch die Körper verstorbener Pharaonen auf das Jenseits vorbereitet wurden.
Tiermumien erfüllten im alten Ägypten unterschiedliche Funktionen. So sollten sie beispielsweise Menschen im Jenseits als Nahrung dienen. Individuelle Tiere, die als Inkarnation von Göttern angesehen wurden, richtete man nach ihrem Tod mit besonders großem Aufwand her. Auch wurden vereinzelt Heimtiere zusammen mit ihren verstorbenen Besitzern bestattet. Andere Tiermumien dienten als Opfergaben und waren mit der Hoffnung verbunden, dass die Götter Gebete erhören. Solche Tiermumien wurden millionenfach bestattet und stapeln sich mitunter bis an die Decke von Grabkammern. In der Spätzeit des alten Ägyptens entstand eine regelrechte Industrie daraus. Archäologen haben Hinweise darauf, dass verschiedene Tierarten eigens zum Zweck der Opferung gezüchtet und nach ihrer Mumifizierung an Gläubige verkauft wurden.
Unter den Vogelmumien sind Heilige Ibisse (Threskiornis aethiopicus) mit Abstand am häufigsten zu finden. Diese Tiere wurden dem ibisköpfigen Gott Thot geweiht, der unter anderem mit Magie, Wissenschaft und der Schreibkunst in Verbindung gebracht wird. Thot war in der Vorstellung der alten Ägypter beim Totengericht dafür zuständig, das Protokoll zu führen. Allein in der Nekropole von Sakkara sollen ihm jährlich etwa 10.000 Ibisse geopfert worden sein. Insgesamt fand man hier rund 1,7 Millionen mumifizierte Exemplare. Doch woher stammt diese große Menge an Ibissen? Aus der Schrift eines ägyptischen Priesters aus griechisch-römischer Zeit geht hervor, dass man die Ibisse zumindest zeitweise in Gefangenschaft hielt, denn er berichtet, dass etwa 60.000 Vögel regelmäßig mit Klee und Brot gefüttert wurden. Doch wurden die Ibisse dauerhaft in Farmen gehalten und gezüchtet, oder wurden sie im Freiland gefangen und lebten nur für den Zeitraum bis zur Opferung in menschlicher Obhut?
Um das herauszufinden, untersuchten Forscher um Sally Wasef das Erbgut der ägyptischen Ibismumien; die Ergebnisse ihrer Studie wurden in der Fachzeitschrift PLOS ONE veröffentlicht. Durch den Vergleich von DNA-Sequenzen lässt sich viel über den Verwandtschaftsgrad der Tiere herausfinden. Sollten nach den jährlichen Opferungen zahlreiche Ibisse in Farmen nachgezüchtet worden sein, wären die Tiere untereinander eng verwandt, was sich in einer geringen genetischen Vielfalt zeigen würde. Die Wissenschaftler untersuchten die DNA von Mumien, die aus verschiedenen ägyptischen Grabkammern stammen. Das Erbgut dieser Mumien verglichen sie mit dem heutiger Ibisse. In Ägypten selbst sind die Heiligen Ibisse allerdings seit Mitte des 19. Jahrhunderts ausgestorben. Die Forscher untersuchten daher freilebende Tiere aus verschiedenen anderen Regionen Afrikas, Tiere aus dem Zoo in Kairo und Museumsexemplare.
Die Untersuchungen des Erbguts zeigten, dass die ägyptischen Ibismumien eine ähnliche genetische Vielfalt wie die heutigen Tiere aufweisen. Die geopferten Vögel sind also untereinander nicht auffallend eng miteinander verwandt. Auch eine Anreicherung potentiell schädlicher Mutationen in bestimmten Regionen des Erbguts, die darauf hinweisen könnte, dass die Tiere über mehrere Generationen gezüchtet wurden, fanden die Forscher bei den mumifizierten Ibissen nicht. Die Wissenschaftler glauben deshalb, dass die Heiligen Ibisse nicht über viele Generationen gezüchtet wurden, sondern dass die alten Ägypter sie immer wieder direkt aus der Wildnis entnahmen und die Vögel vermutlich nur zeitweise in Gefangenschaft hielten. Priester könnten die Ibisse dafür in der Nähe von Tempeln gehalten haben, bis sie schließlich geschlachtet und mumifiziert wurden, um dem Gott Thot als Opfergabe zu dienen.