Auf Entdeckungsreise durch das Naturhistorische Museum in Dublin.
Bereits der Platz vor dem Eingang des Naturhistorischen Museums (Natural History Museum) in der irischen Hauptstadt Dublin weist darauf hin, dass sich dieses von einem modernen Naturkundemuseum unterscheidet. Eine Bronzestatue zeigt einen uniformierten Mann mit Gewehr, der stolz auf einem Tierschädel posiert. Es ist der irische Offizier, Arzt und Naturforscher Thomas Heazle Parke, der im Jahr 1887 an einer Expedition nach Afrika teilnahm. Es handelte sich dabei allerdings nicht primär um eine Forschungsreise. Das eigentliche Ziel bestand darin, Emin Pasha, den Gouverneur der anglo-ägyptischen Provinz Äquatoria, nach politischen Unruhen zu retten. Dennoch erstellten die Abenteurer auf ihrer beschwerlichen, rund 8000 km langen Reise auch eine Vielzahl von Aufzeichnungen und Berichten über exotische Pflanzen und Tiere.
Abenteuerliche Expeditionen, von denen vielfach auch Exponate wie Felle, Knochen und getrocknete Tiere oder Pflanzen mitgebracht wurden, waren vor allem im 19. Jahrhundert eine wichtige Grundlage zum Aufbau naturwissenschaftlicher Sammlungen. Auch die Sammlung des Naturhistorischen Museums in Dublin, welches Bestandteil des irischen Nationalmuseums ist, verdankt einen beträchtlichen Teil seiner Exponate solchen Entdeckungsreisen. Das Gebäude des Museums wurde im Jahr 1856 für die bereits seit dem 18. Jahrhundert zusammengetragene Sammlung der Royal Dublin Society errichtet und die Anzahl an Präparaten wuchs in der Folgezeit beständig. Seit dem viktorianischen Zeitalter hat sich das Museum jedoch kaum verändert und ein Besuch in den altehrwürdigen Räumlichkeiten gleicht einer Zeitreise ins 19. Jahrhundert. Aufgrund der Vielzahl an präparierten Tieren aus aller Welt, haben die Dubliner ihrem Naturkundemuseum den Spitznamen „Dead Zoo“, zu Deutsch „toter Zoo“, gegeben.
Die Ausstellung des Museums erstreckt sich über insgesamt vier Stockwerke, wobei sich das zweite und dritte Obergeschoss auf Balkonen befinden. Beim Betreten des Museums gelangen die Besucher aber zunächst ins Erdgeschoss. Zahlreiche historische Holzvitrinen stehen hier auf den rot-schwarz gemusterten Fliesen. Die Exponate zeigen die Fauna Irlands. Diese ist im Vergleich zum restlichen Europa verhältnismäßig artenarm. Als nach dem Ende der letzten Kaltzeit der Meeresspiegel anstieg, wurde Irland recht schnell isoliert, so dass es nur relativ wenigen Arten gelang, die Insel zu besiedeln.
Als erstes fallen im Erdgeschoss die Skelette der ausgestorbenen Riesenhirsche (Megaloceros giganteus) auf. Riesenhirsche lebten während der letzten Kaltzeit in den Steppenlandschaften Irlands. Die imposanten Geweihe der männlichen Tiere erreichten Spannweiten von über 3,6 Metern, womit sie die Stirnwaffen aller heute lebenden Hirsche deutlich an Größe übertreffen.
Hinter den Skeletten drängen sich Vitrinen mit Exponaten von Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Amphibien und Fischen, sowie zahlreichen Wirbellosen, wie Insekten und Weichtieren. Einige der Präparate schwimmen in historischen Gläsern mit Konservierungsflüssigkeit, wie der Tentakel eines Tintenfisches, der vor der irischen Küste gefangen wurde. Seine Saugnäpfe erinnern an zahnbesetzte Münder. Auf der Beschriftung des Glases steht der Name Sthenoteuthis pteropus. Heute weiß man, dass es sich dabei um eine Fehlbestimmung handelte, da diese Art nur in tropischen Meeren lebt. In diesem Museum halten sich jedoch hartnäckig die historischen Beschriftungen.
Dutzende Vitrinen zeigen getrocknete und auf Nadeln präparierte Insekten. Wegen ihres Alters sind die Farben einiger Schmetterlinge bereits verblichen. Dunkelrote, schwere Lederabdeckungen sollen die Exponate vor einem weiteren Ausbleichen schützen und können von den Besuchern angehoben werden, um einen Blick auf die Tiere zu werfen.
Anhand der Beschriftungen kann man vielfach die genaue Herkunft der Exponate nachvollziehen. Das Präparat einer Hausratte (Rattus rattus) stammt beispielsweise aus dem Hafen von Dublin. Die Hausratte kommt ursprünglich aus Asien und hat sich mit der Schifffahrt auf der ganzen Welt verbreitet. Heute wird sie allerdings vielerorts durch die konkurrenzstärkere Wanderratte (Rattus norvegicus) verdrängt und lässt sich in Irland fast nur noch in Hafenstädten wie Dublin oder Cork finden.
Fast lebensecht wirken die Dioramen, welche Szenen aus dem Leben von Tieren in ihrer natürlichen Umgebung darstellen. Zwei Dioramen zeigen Gruppen von Füchsen (Vulpes vulpes) und Dachsen (Meles meles). Die Exponate stammen aus den Jahren 1910 und 1911 und wurden von der Dubliner Tierpräparationsfirma Williams & Sohn hergestellt.
Eine kunstvoll gefertigte Vitrine auf einem verzierten, gusseisernen Ständer zeigt Papageientaucher (Fratercula arctica), die unter den Tieren Irlands seltsam exotisch wirken. Der große, bunte Schnabel und die leuchtend orangefarbenen Beine bilden einen starken Kontrast zu dem schwarz-weißen Gefieder der Fischjäger. Papageientaucher gehören zur Familie der Alkenvögel und brüten an Irlands Steilküsten.
Besondere Schmuckstücke sind die Glasmodelle, welche von Leopold und Rudolf Blascka aus Dresden angefertigt wurden. Die zwischen 1878 und 1888 vom Museum erworben Modelle stellen in einem erstaunlichen Detailgrad unter anderem verschiedene Nessel- und Weichtierarten dar. Dank der Glasmodelle konnten auch sehr kleine oder wegen ihres weichen Gewebes schwer zu präparierende Tiere in der Ausstellung präsentiert werden.
Das erste Obergeschoss ist über eine Steintreppe erreichbar. Hier breitet sich vor den Besuchern eine zunächst unübersichtlich wirkende Vielfalt von präparierten Tieren aus. Säugetiere aus aller Welt sind hier untergebracht; viele davon stammen aus den britischen Kolonien. Aus allen Ecken blicken einem die starren Glasaugen der Präparate entgegen. Erst hier wird die schiere Zahl an Exponaten sichtbar; etwa 10.000 befinden sich in der Schausammlung. Unglaubliche zwei Millionen weitere Stücke werden hinter den Kulissen verwahrt und dienen hauptsächlich der Forschung. Vom dunklen Holzfußboden wandert der Blick automatisch nach oben in den hohen, hellen Raum. Weit über den Köpfen der Besucher befinden sich die prächtigen Balkone, auf denen man weitere Vitrinen mit Exponaten erahnen kann. Unter der Decke schwebt das eindrucksvolle Skelett eines riesigen Finnwals (Balaenoptera physalus).
Am Boden dominieren große Säugetiere, wie Giraffe (Giraffa camelopardalis), Asiatischer Elefant (Elephas maximus), Flusspferd (Hippopotamus amphibius) und Walross (Odobenus rosmarus), die Szenerie. Sie kommen ohne eine Vitrine aus und die Betrachter können ihnen somit ganz nahe kommen. Das Stimmengewirr der zahlreichen Besucher und das Knarren der Holzdielen unter ihren Schritten sind hier die einzigen Geräusche, denn Mitmachstationen oder Audiotechnik gibt es in diesen historischen Räumen nicht. Aus heutiger Sicht eigentümlich wirken die zahlreichen präparierten Köpfe, vor allem von Huftieren, die wie Jagdtrophäen auf Holzschilder montiert wurden.
Auch wenn erläuternde Schautafeln rar gesät sind oder in den vollen Vitrinen untergehen, ist gut zu erkennen, dass in diesem Raum die Vielfalt der Säugetiere aufgezeigt werden soll. Hinsichtlich des Reichtums an Exponaten bleiben keine Wünsche offen. Eine große Besonderheit ist das Präparat eines Beutelwolfs (Thylacinus cynocephalus). Beutelwölfe gelten seit 1936 als ausgestorben. Im selben Jahr verstarb im Zoo von Hobart, der Hauptstadt Tasmaniens, das letzte bekannte Exemplar dieses größten fleischfressenden Beuteltiers, welches nur äußerlich einem Wolf ähnelt. Bis ins 19. Jahrhundert waren diese Tiere auf Tasmanien weit verbreitet. Seit der Intensivierung der Schafzucht auf der südlich von Australien gelegenen Insel wurden sie aber gnadenlos verfolgt, da in ihnen eine Bedrohung für die Herden gesehen wurde. Das in Dublin gezeigte Exemplar stammt aus dem Jahr 1917.
In großen Glasschränken werden teils mächtige Raubtiere präsentiert. Hier wird der Geist der frühen Abenteurer und Großwildjäger wieder lebendig, denn oftmals werden auf kleinen Schildern die Namen derer erwähnt, die das Tier erlegt haben. So kann man beispielsweise einen grimmig dreinschauenden Eisbären finden, der Mitte des 19. Jahrhunderts von dem irischen Entdecker Leopold McClintock auf einer Expedition durch das arktische Eis geschossen wurde. Das Einschussloch im Kopf des Bären ist bei dem Präparat immer noch sichtbar.
In weiteren Vitrinen tummeln sich verschiedene andere Säugetiergruppen, darunter Insektenfresser, Fledertiere, Nebengelenktiere und Nagetiere. Die letzten Vitrinen zeigen schließlich diverse Primaten und darunter auch ein menschliches Skelett.
Leider machten Brandschutzbestimmungen zum Zeitpunkt unseres Besuches das Betreten der auf Balkonen gelegenen zweiten und dritten Obergeschosse unmöglich. Es ist aber bereits ein Umbau geplant, bei dem der besondere Charme des viktorianischen Museums erhalten bleiben soll. Das Naturhistorische Museum in Dublin, welches seinen Besuchern freien Eintritt gewährt, mag antiquiert und vielleicht auch makaber wirken; es ist aber ein einzigartiges Dokument aus einer Zeit, als die systematische Beschreibung und Erforschung von Tieren und Pflanzen am Anfang ihrer Blütezeit stand. Es ist somit auf gewisse Weise ein Museum eines Museums.
Sehr sehr interessant!
Vielen Dank wieder mal! ;)
Liebe Grüße
Llu ♥