Die Pest gilt als Geißel der Menschheit – In der aktuellen Sonderausstellung des LWL-Museums für Archäologie in Herne wird die Geschichte der todbringenden Seuche aufgezeigt.
„Hustende Gestalten schleppen sich über die verdreckten Gassen einer mittelalterlichen Stadt. Ein Karren rattert über das löchrige Straßenpflaster, Knechte hieven Verstorbene auf die Ladefläche…“ Mit diesen Worten beginnt der Einführungstext, der am Eingang zur Sonderausstellung „Pest!“ an der Wand prangt. Die Ausstellung, die derzeit im LWL-Museum für Archäologie in Herne zu sehen ist, beleuchtet eine der verhängnisvollsten Infektionskrankheiten, die die Menschheit in ihrer Geschichte heimgesucht hat.
Die Pest wird durch das Bakterium Yersinia pestis hervorgerufen, das in verschiedenen Nagetieren vorkommt. Vor allem Hausratten (Rattus rattus) spielten für vergangene Ausbrüche als Reservoir des Erregers eine wichtige Rolle. Flöhe, insbesondere der auch als Pestfloh bekannte Rattenfloh (Xenopsylla cheopis), können die Krankheit durch ihren Stich übertragen. Gelangen Pesterreger so in den menschlichen Körper, tritt die Beulenpest auf, die zu den charakteristischen Pestbeulen, schmerzhaften Schwellungen der Lymphknoten, führt. Unbehandelt endet die Beulenpest in etwa der Hälfte aller Fälle tödlich. Die Ausstellung zeigt ein medizinisches Wachsmodell eines Fußes mit Symptomen der Beulenpest. Pestbeulen können mehrere Zentimeter groß werden, das Gewebe färbt sich dabei blau-schwarz und stirbt schließlich ab. Durch Tröpfchen, die beispielsweise beim Husten ausgeschleudert werden, kann die Krankheit auch direkt von Mensch zu Mensch übertragen werden. Dann kommt es zur Lungenpest, die eine schwere Lungenentzündung mit sich bringt. Die Lungenpest ist unbehandelt fast immer tödlich.
Während der Eingangsbereich der Ausstellung klinisch weiß gehalten ist, dominieren im Hauptraum dunkle Farben. Nur einzelne Elemente sind giftgrün hervorgehoben. Eine 40 Quadratmeter große Leuchtwand mit einer Kollage der Künstlerin Claudia Pomowski überragt die Schaukästen und Vitrinen. Das Werk kombiniert Zeichnungen und Fotografien von Menschen verschiedener Gegenden und Epochen. Die Menschen tanzen; doch sie tanzen nicht allein. Tote und Skelette begleiten sie und lassen so eine visuell beeindruckende Interpretation des mittelalterlichen Totentanz-Motivs entstehen.
Die Geschichte der Pest reicht Jahrtausende in die Vergangenheit. Der älteste Nachweis des Pestbakteriums mittels DNA-Analysen stammt aus einem Grab in Schweden, das auf etwa 3000 v. Chr. datiert wird. Die erste Pest-Pandemie der Geschichte ist als Justinianische Pest bekannt geworden. Historische Schriften bezeugen ihr Wüten ab Mitte des 6. Jahrhunderts n. Chr. In Konstantinopel sollen ihr angeblich mehr als 10.000 Menschen pro Tag erlegen sein. Auch der Römische Kaiser Justinian I., der Namensgeber der Pandemie, konnte sich der Pest nicht entziehen; er überlebte die Krankheit jedoch. Die Seuche erfasste den gesamten Mittelmeerraum und breitete sich auch bis nach Mitteleuropa aus. Die Skelette eines Mannes und einer Frau aus einem Doppelgrab bei München liegen in der Ausstellung. Das Grab stammt aus dem 6. Jahrhundert und bei beiden Skeletten konnte das Pestbakterium nachgewiesen werden. Es handelt sich also um Opfer der Justinianischen Pest.
Die zweite Pest-Pandemie fand im 14. Jahrhundert statt und war der verheerendste Ausbruch der Seuche überhaupt. Sie soll rund 25 Millionen Menschen das Leben gekostet haben und ist unter dem Namen Schwarzer Tod in die Geschichte eingegangen. Ihren Anfang nahm die Pandemie im Jahr 1346. Die auf der Halbinsel Krim gelegene Handelsstadt Caffa, eine genuesische Kolonie, wurde von mongolischen Truppen belagert. Als im Heer der Belagerer die Pest ausbrach, schleuderten sie ihre Pesttoten mit Katapulten in die Stadt. Mit den aus Caffa flüchtenden Menschen verbreitete sich die Krankheit entlang der genuesischen Handelswege. Es folgten Pestausbrüche in Genua, Marseille und Konstantinopel und in den anschließenden Jahren erfasste die Seuche nahezu ganz Europa.
Ungewöhnliche Naturerscheinungen, wie Erdbeben oder Kometen, wurden als Vorzeichen der Katastrophe gedeutet. Eine besondere Rarität in der Ausstellung ist das Präparat eines sogenannten Rattenkönigs. Als Rattenkönig wird eine Gruppe von Ratten bezeichnet, bei der sich die Einzeltiere mit ihren Schwänzen auf natürliche Weise so verknotet haben, dass sie sich nicht mehr voneinander trennen können. Das Auftreten eines Rattenkönigs galt als Omen für die Pest, und obwohl die genauen Zusammenhänge im Mittelalter unbekannt waren, weisen Rattenkönige tatsächlich auf hohe Rattendichten hin, welche die Wahrscheinlichkeit von Pestausbrüchen erhöhen können.
Die Angst vor der unerklärlichen Seuche ließ die Menschen nach Schuldigen suchen. Insbesondere Personen, die außerhalb der Mehrheitsgesellschaft standen, wurden zum Ziel von Verdächtigungen. Neben vermeintlichen Hexen und Zauberern, galten vor allem Juden als Verursacher der Pest. So sollten sie angeblich Brunnen vergiftet haben, um den Christen die tödliche Krankheit zu bringen. Unter Folter erzwungene Geständnisse bestärkten solche Verschwörungstheorien. Zur Zeit des Schwarzen Todes kam es in West- und Mitteleuropa immer wieder zur Vertreibung und Ermordung von Juden. Hinter den Pogromen steckten nicht selten auch wirtschaftliche Interessen, denn an den Besitztümern der Verfolgten wurde sich ungezügelt bereichert. Die Ausstellung zeigt Stücke eines in Erfurt gefundenen jüdischen Schatzes, mit Silberbarren, Münzen und Schmuck, der vermutlich wegen der gewaltsamen Ausschreitungen von seinem Besitzer versteckt wurde, in der Hoffnung, ihn später bergen zu können.
Die Menschen des Mittelalters versuchten die Pest mit diversen Mitteln und Verfahren zu behandeln. Einige der Therapien basierten deutlich auf magischen Praktiken. So sollte man, einem Nürnberger Pesttraktat zufolge, die Kloake eines Hahnes auf Pestbeulen pressen. Während dieser Prozedur sollte dem Hahn der Schnabel zugehalten werden. Dadurch sollte das Tier Luft durch seine Kloake einatmen und dabei Gift aus der Pestbeule ziehen. Dieser Behandlungsansatz basiert auf der Vorstellung, dass die Pest durch „schlechte Luft“ übertragen werde. Zudem ist das Pressen des Hahnes auf die eiförmige Pestbeule eine symbolische Umkehrung des Legens eines Hahneneis, aus dem, der Legende nach, ein giftiger Basilisk schlüpft.
Eng verbunden mit dem heutigen Bild von Pestärzten ist die Schnabelmaske. Solche Masken sollten das Ansteckungsrisiko für die Ärzte senken. Der Schnabel war mit Duftstoffen, wie Kräutern, gefüllt und die Augenöffnungen waren aus Glas. Mehrere Abbildungen von Pestärzten mit der markanten Schutzkleidung sind in der Ausstellung zu sehen und eine Wandinstallation zeigt dreihundert weiße Schnabelmasken, welche die Besucher mit ihren Blicken zu verfolgen scheinen. Tatsächlich war diese Art der Schutzkleidung wohl nicht sehr weit verbreitet; sie findet sich nur in wenigen zeitgenössischen Schriften, die allesamt auf den französisch-italienischen Raum beschränkt sind.
Der Schwarze Tod galt im Mittelalter als göttliche Strafe. Um die Seuche abzuwenden, versuchten die Menschen daher, den vermeintlichen Zorn Gottes durch religiöse Handlungen zu besänftigen. So entwickelten sich verschiedene neue religiöse Praktiken. Papst Clemens VI. führte 1348 die Pestmesse, die bis heute bei Epidemien gelesen wird, als Instrument gegen die Seuche ein. Anhänger der Geißler, einer christlichen Laienbewegung, praktizierten öffentliche Selbstkasteiung. Bei ihren Prozessionen peitschten sie ihre Körper blutig, um im Namen der Menschheit Buße zu tun. Der ausgestellte Pestlöffel, ein Werkzeug mit langem Stab, diente dazu, Pestkranken die heilige Kommunion zu erteilen, ohne dass ihnen ein Geistlicher zu nahe kommen musste. Auch die Bestattungskultur veränderte sich in Pestzeiten. Die Leichen der Pestopfer wurden anonym in Massengräbern beigesetzt, denn die gewaltige Zahl an Toten ließ die Friedhöfe schnell zu klein werden und machte individuelle Trauerfeiern unmöglich.
Viele Menschen flohen aus ihrer Heimat, um der Pest zu entkommen. So verließen beim Ausbruch der „Großen Pest“ von London im Jahr 1665 rund die Hälfte aller Bewohner die Stadt. Andererseits führten Pestausbrüche auch zu Grenzschließungen, die verhindern sollten, dass Einreisende die Krankheit einschleppten. Oftmals sahen die Maßnahmen zur Eindämmung der Seuche vor, dass pestverdächtige Schiffe, Güter und Personen unter mehrwöchige Quarantäne gestellt wurden, bevor sie in eine Stadt gelangen durften. Briefe wurden unter anderem geräuchert, da man annahm, ihnen könne die Pest anhaften und der Rauch würde sie desinfizieren. Eine Perforationszange aus dem 18. Jahrhundert liegt in einer Vitrine. Mit ihr durchlöcherte man Briefe, damit auch ihr Inneres dem Rauch ausgesetzt werden konnte. Pestkranke mussten sich in ihren Häusern isolieren, die vielfach zur Warnung mit Strohkränzen oder Kreuzen markiert wurden. Anderswo wurden sie in spezielle Kranken- oder Pesthäuser eingewiesen.
Die Auswirkungen der zweiten Pest-Pandemie waren enorm. Der Bevölkerungsverlust in Europa lag bei geschätzten 30 bis 60 Prozent. In Eisschichten von Gletschern, die zu dieser Zeit entstanden, maßen Forscher eine verringerte Bleikonzentration, was darauf hinweist, dass weniger Bergbau und Verhüttung betrieben wurde. Einige Landstriche waren fast völlig leergefegt. Die Ernte soll auf den Feldern verrottet sein und ehemals landwirtschaftlich genutzte Flächen bewaldeten allmählich wieder.
Literaten, Architekten und Künstler verarbeiteten die Schrecken der Pest in ihren Werken. In der bildenden Kunst erscheint die Seuche dabei oftmals in personifizierter Form, etwa als Pfeile schießender Dämon, Skelett mit Sense oder Drache. In einem gesonderten Raum hängt die Abbildung eines im 18. Jahrhundert entstandenen, großformatigen Gemäldes von Michel Serre. Es zeigt Pestkranke, Sterbende und Tote, die in der Prachtstraße von Marseille liegen. Das Handelsschiff Grand Saint Antoine brachte die Pest 1720 in die Stadt. Es wurde daraufhin im Meer versenkt. 1979 wurde es von Archäologen wiederentdeckt. Den aus dem Meer geborgenen Anker des Unglücksschiffes kann man im Vorraum der Ausstellung betrachten.
Die letzten Pestepidemien in Westeuropa fanden Anfang des 18. Jahrhunderts statt. In der Ausstellung ist eine Goldmedaille von 1714 zu sehen, die das Ende des letzten Pestausbruchs in Hamburg würdigt. Sie zeigt die Pest als Sensenmann, der Äste von einem Baum mit dem Hamburger Stadtwappen abschneidet. Die Umschrift der Medaille lautet: PRAESTAT PVTARI QVAM CONCIDI („Es ist besser beschnitten, als vernichtet zu werden“).
Im Jahr 1894 erschien die Pest plötzlich wieder auf der Bildfläche. Von Südchina aus griff die Krankheit auf die britische Kolonie Hongkong mit ihrem weltweit vernetzten Hafen über. Die Mikrobiologie hatte in den vorausgegangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht und verschiedene Forschergruppen bemühten sich in Hongkong darum, als erste den Erreger der Seuche nachzuweisen. Es war der Schweizer Arzt Alexandre Yersin, dem schließlich die Entdeckung des heute nach ihm benannten Pestbakteriums Yersinia pestis gelang. In Folge des Ausbruchs in Hongkong verbreitete sich die Pest über Schiffe in alle Welt. Damit begann die dritte Pest-Pandemie, die Millionen Menschenleben kosten sollte. Die meisten Toten hatte dabei Indien zu beklagen. Im Rahmen der Pandemie erreichte die Krankheit teils auch entlegene Regionen. Heutige Pestvorkommen bei Nagetieren im westlichen Nordamerika und auf Madagaskar gehen auf diese Ausbreitungswelle zurück.
In den letzten Jahren kam es immer wieder zu lokalen Ausbrüchen der Pest, etwa auf Madagaskar und in der Mongolei. Dank moderner Antibiotika lässt sich die Seuche heute allerdings recht effektiv eindämmen. Für eine erfolgreiche Behandlung ist insbesondere eine rechtzeitige Diagnose wichtig.
Insgesamt ist die umfangreiche Sonderausstellung sowohl inhaltlich als auch von der Präsentation sehr gut gelungen. Die Vielzahl an Exponaten und Abbildungen ermöglicht ein tiefes Eintauchen in die Geschehnisse, die auch heute nichts von ihrem Schrecken und ihrer Faszination eingebüßt haben. Die Ausstellungsgestaltung untermalt die düstere Stimmung. Trotz des Reichtums an Exponaten sind in der Ausstellung nur wenige Texttafeln zu finden. Genauere Informationen zu den Ausstellungsstücken können in einem Begleitheft nachgelesen werden, das am Eingang zum Ausleihen bereitliegt. Da sich die Bedeutung vieler Ausstellungsstücke erst mit diesen Informationen erschließt, sollte man genug Zeit mitbringen. Die interessante Ausstellung, zu der auch ein ausführlicher Katalog erschienen ist, wird noch bis zum 10. Mai 2020 im LWL-Museum für Archäologie zu sehen sein.
Derzeit ist die Ausstellung aufgrund der COVID-19-Pandemie leider geschlossen. Das Museum bietet auf seinem Youtube-Kanal aber unter anderem Online-Führungen an.
Die Sonderausstellung wurde nun bis zum 15. November 2020 verlängert.
Aha, lieben Dank für den Tipp zur Ausstellung und die guten Informationen. Sobald das wieder möglich ist, werde ich sie besuchen, ist vorgemerkt. Außerdem wird mir klar, dass die Ausstellung auch ein Grund ist, warum die zwei Pest-Artikel auf dem schwarzen Planeten recht gut ge- und besucht sind. ;)
Take care & liebe Grusels!
Tipps für gute Ausstellungen geben wir doch gerne weiter. Mittlerweile ist die Pest-Ausstellung auch wieder geöffnet. Wir haben übrigens schon in deinem neu gestalteten Blog gestöbert; ist sehr schick geworden. :-)
das ist intersant zu wissen die pest lebt immer noch