Warum Menschen in Mesopotamien zusammen mit Schildkröten beerdigt wurden.
Bei Ausgrabungen in Kavuşan Höyük im Südosten der Türkei machten Archäologen eine ungewöhnliche Entdeckung: In einem rund 2600 Jahre alten Grab fanden sie zwei menschliche Skelette, die zusammen mit Überresten von Schildkröten beerdigt wurden. Warum hatten die Menschen in der späten Eisenzeit ausgerechnet diese Tiere mit zu ihren Toten gegeben? Um weitere Hinweise zu finden, untersuchten Forscher um Rémi Berthon die ungewöhnlichen Grabbeigaben genauer.
Die Ausgrabungsstätte liegt im nordwestlichen Mesopotamien südlich des Flusses Tigris. Die menschlichen Skelette wurden in einem unterirdischen Silo gefunden, das ursprünglich zur Aufbewahrung von Getreide diente, und später als Grabstätte umfunktioniert wurde. Bei den Skeletten handelte es sich um eine erwachsene Frau und um ein sechs bis sieben Jahre altes Kind. Sie lagen nahe beieinander und neben ihnen befanden sich Knochen, Rückenpanzer und Bauchschalen von insgesamt 21 Schildkröten. Bei ihren Untersuchungen, welche die Forscher in der Fachzeitschrift Antiquity veröffentlichten, stellten sie fest, dass die Schildkrötenskelette hauptsächlich von Euphrat-Weichschildkröten (Rafetus euphraticus) stammten. Diese wasserbewohnende Schildkrötenart ist ausschließlich an Euphrat und Tigris sowie einigen Nebenflüssen beheimatet. Die meisten Schildkröten waren am Rand des Silos angeordnet; einige wenige fanden sich auch in der Mitte. Auch einzelne Überreste von zwei anderen Schildkrötenarten, der Maurischen Landschildkröte (Testudo graeca) und der Kaspischen Bachschildkröte (Mauremys caspica) entdeckten die Forscher in dem Grab.
Zwar sind Schildkröten als Grabbeigaben aus mehreren historischen Gräbern in Vorderasien bekannt, doch war ihre große Anzahl in dem Grab in Kavuşan Höyük sehr ungewöhnlich. Als die Forscher die Weichschildkrötenskelette genauer untersuchten, fanden sie Schnittspuren an Knochen, Rückenpanzern und Bauchschalen. Offensichtlich waren die Tiere zerlegt worden, bevor sie zu den Verstorbenen gegeben wurden. Die Position der Schnittspuren verriet dabei, dass das Fleisch der Tiere von den Knochen getrennt wurde und vermutlich nur die Überreste in das Grab gelegt wurden. Die Forscher nehmen daher an, dass das Fleisch der Schildkröten verspeist wurde.
Schon seit der Jungsteinzeit spielten Schildkröten als Nahrungsmittel in Vorderasien keine große Rolle mehr. Das Verzehren dieser Tiere hatte in der späten Eisenzeit somit hauptsächlich symbolische Bedeutung. In alten babylonischen Texten findet die Euphrat-Weichschildkröte Erwähnung als Opfergabe bei Beerdigungen und religiösen Festen. Neben rituellen Zwecken wurde sie auch als Medizin verwendet. Vermutlich dienten Schildkröten im Allgemeinen als Psychopompoi, also als Begleiter für die Seelen der Toten. So wurden in Israel Maurische Landschildkröten im Grab einer älteren Frau aus dem 11. Jahrhundert v. Chr. gefunden, von der man annimmt, dass sie eine Schamanin war. Schildkröten sollten auch Schutz vor bösen Einflüssen bieten. Noch vor vierzig Jahren legte man Kindern dazu in den südöstlichen Teilen der Türkei die V-förmigen Schulterknochen der Tiere um den Hals. Und auch heute noch dienen in Anatolien Schildkrötenpanzer zur Abwehr von bösen Mächten und werden an Hauseingänge, in Autos und über Kinderwiegen gehängt oder es werden Amulette aus ihnen gefertigt.
Die Weichschildkröten in dem Grab von Kavuşan Höyük dienten offensichtlich rituellen Zwecken. Sie wurden wahrscheinlich am Tag der Beerdigung gefangen, geschlachtet und dann gemeinsam von den Trauernden verspeist. Nach dem Leichenschmaus sollten die Überreste der Tiere die Seelen der Verstorbenen ins Jenseits geleiten.
Interessant und gleichzeitig sehr fies, vor allem, wenn man eine Schildkröte hat und liebt, dann sind derartige Riten nicht gut zu heißen. Gehören hoffentlich größtenteils der Vergangenheit an. Warum muss ich da beim Töten und Zerteilen an „Cannibal Holocaust“ denken…? Wirklich ein schrecklicher Film.