Ein Experiment zeigt, wie wichtig die Beseitigung toter Individuen für soziale Insekten ist.
Soziale Insekten, wie Ameisen, Termiten und viele Arten von Bienen und Wespen, leben in enger Gemeinschaft mit ihren Koloniemitgliedern. Das Leben in der Gruppe bietet viele Vorteile. Gemeinsam kann die Kolonie effektiv Futterquellen erschließen und ihre Brut versorgen, komplexe Nester und Bauten errichten und selbst große Feinde abwehren. Aber es gibt auch eine Schattenseite des Zusammenlebens. Weil die Tiere in einer Kolonie sehr nah miteinander verwandt sind und räumlich eng beieinander leben, können sich Krankheitserreger zwischen ihnen äußerst schnell ausbreiten. Wenn kranke Tiere innerhalb des Nestes versterben, müssen die Koloniemitglieder deshalb dafür sorgen, dass die toten Körper möglichst wenig mit lebenden Artgenossen in Kontakt kommen. Termiten begraben deswegen ihre Toten. Bei Bienen und vielen Arten von Ameisen werden die toten Körper aus dem Bau hinausgetragen. Dieses Verhalten wird als Nekrophorese bezeichnet.
Um herauszufinden, was passiert, wenn das Hinaustragen der toten Koloniemitglieder unterbleibt, führte eine belgische Forschergruppe um Lise Diez ein Experiment mit Roten Gartenameisen (Myrmica rubra) durch. Ihre Studie erschien 2014 in der Fachzeitschrift Biology Letters. Die Wissenschaftler hielten kleine Kolonien aus Arbeiterinnen und Larven in künstlichen Nestern. Durch eine kleine Öffnung konnten die Arbeiterinnen in einen Bereich außerhalb des Nestes gelangen, in dem auch Futter für sie bereitlag. Bei einigen Kolonien hinderten die Wissenschaftler die Ameisen daran, ihre Toten durch diesen Ausgang aus dem Nest zu tragen. Dafür wurde der Nestausgang durch mehrere kleine Ausgänge ersetzt, die gerade groß genug waren, um eine einzelne Ameise durchzulassen, aber zu eng waren, um eine tote Ameise mit hindurch zu tragen.
Am ersten Tag des Experiments legten die Forscher jeweils zehn tote Ameisen in die Nester. Diese Tiere stammten aus der jeweiligen Kolonie und waren nicht an einer ansteckenden Krankheit gestorben. In den Nestern mit den großen Ausgängen machten sich die Arbeiterinnen sofort daran, die toten Tiere aus dem Nest zu tragen. Am vierten Tag wurden die letzten Toten hinausgetragen.
In den Nestern mit den kleinen Ausgängen scheiterten die Arbeiterinnen zunächst daran, die toten Körper aus dem Nest zu bringen. Am achten Tag gelang es den Ameisen allerdings, einige der Toten zu zerstückeln und die Körperteile separat durch die Ausgänge zu schaffen. In den Kolonien, in denen immer noch Tote im Nest verblieben waren, wurden diese nach und nach möglichst weit entfernt von den Larven abgelegt; meist in die Ecken der Nester. Einige tote Körper wurden auch mit Nistmaterial abgedeckt.
Am Ende des Experiments, nach fünfzig Tagen, waren in den Nestern, in denen die Ameisen daran gehindert wurden, ihre Toten aus dem Nest zu tragen, mehr Arbeiterinnen gestorben als in den anderen Nestern. Im Laufe des Experiments breiteten sich vermutlich Krankheitserreger in den Kadavern aus, mit denen sich Mitglieder der Kolonie nach und nach infizierten. Auch die Zahl an verstorbenen Larven war höher, wenn der Abtransport der toten Tiere behindert wurde. Insgesamt starben aber weniger Larven als Arbeiterinnen. Dies könnte daran liegen, dass sich bei den Roten Gartenameisen vor allem jüngere Arbeiterinnen um die Brutpflege kümmern und sich die Älteren, welche die Kadaver hinausschaffen, eher von den Larven fernhalten. Diese Aufgabenteilung vermindert wahrscheinlich die Übertragung von Krankheiten. Obwohl die Zahl der gestorbenen Tiere nach fünfzig Tagen das Überleben der Kolonien nicht gefährdete, zeigt das Experiment doch deutlich, wie wichtig die Nekrophorese zur Seuchenprävention ist.
Sehr schöner Beitrag.
sehr interessant danke