Wie fleischfressende Kannenpflanzen das soziale Verhalten von Ameisen ausnutzen.
Einige Pflanzen fressen Fleisch. Sie erbeuten kleine Tiere mit raffinierten Klappfallen, Klebetöpfchen oder flüssigkeitsgefüllten Trichtern. Fleischfressende Pflanzen bewohnen meist Lebensräume mit sehr nährstoffarmen Böden. Dank der tierischen Kost können die Pflanzen an solch ungünstigen Standorten gedeihen. So leben die tropischen Kannenpflanzen (Nepenthes spp.) in Gebieten, in denen Nitrat- oder Phosphatmangel herrscht. Umgebildete Blätter formen ihre namensgebenden Kannenfallen, von denen sich Insekten wie magisch angezogen fühlen. An der Innenseite des Randes einer Kannenfalle stellt die Pflanze nämlich Nektar für ihre ahnungslosen Opfer bereit. Doch wenn sich die Insekten zu weit in die Kanne wagen, rutschen sie unaufhaltsam in die mit Verdauungsflüssigkeit gefüllte Falle hinein. Eine kristalline Wachsschicht an der Innenwand der Kanne sorgt dafür, dass die Insektenfüße den Halt verlieren. Bei einigen Arten von Kannenpflanzen sind die Fallen jedoch nicht immer so schlüpfrig, denn ihre Wachsschicht hat sich im Laufe der Evolution zurückgebildet. Bei ihnen fallen die Insekten nur hinein, wenn der Rand der Kanne feucht und dadurch rutschig wird. Wenn die Tropensonne die Luftfeuchtigkeit herabsenkt, können Insekten deshalb für mehrere Stunden am Tag ungefährdet von dem begehrten Nektar naschen. Erst wenn es regnet oder die Luftfeuchtigkeit erneut ansteigt, wird die tödliche Falle wieder aktiv. Doch was ist der Grund dafür, dass einige Arten von Kannenpflanzen die allzeit schlüpfrige Wachsschicht zurückgebildet haben, so dass ihre Fallen nur zeitweise aktiv sind?
Wissenschaftler um Ulrike Bauer untersuchten solch eine Art von Kannenpflanzen (Nepenthes rafflesiana) auf Borneo, um zu ergründen, warum ihre Fallen nicht allzeit aktiv sind und veröffentlichten ihre Untersuchungen in der Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B. In ihrer Studie benetzten die Forscher den Rand einiger Kannenfallen permanent mit Wasser; sie hielten die Fallen also künstlich dauerhaft aktiv. Andere Kannenfallen wurden nicht mit Wasser benetzt, waren also für einige Stunden am Tag inaktiv. Regelmäßig untersuchte das Forscherteam anschließend, welche und wie viele Tiere den Fallen zum Opfer fielen.
Die Wissenschaftler stellten fest, dass die ständig aktiven Fallen mehr fliegende Insekten fingen als die Fallen, die manchmal trocken fielen. Spannend wurde es bei den gefangenen Ameisen. In den nur zeitweise aktiven Fallen fanden die Forscher nämlich manchmal extrem viele Ameisen, in einem Fall sogar über 130 Stück. Die Kannenfallen wurden so zu regelrechten Massengräbern für die Tiere. Die Forscher erkannten darüber hinaus, dass in solchen Fällen stets Ameisen der gleichen Art gefangen wurden.
Wahrscheinlich wird den kleinen Insekten ihr Sozialverhalten zum Verhängnis. Mittels Duftstoffen können Ameisen anderen Mitgliedern ihrer Kolonie den Weg zu einer Futterquelle weisen. So bilden sich manchmal regelrechte Ameisenstraßen. Fällt eine einzelne Ameise auf der Suche nach Nektar in eine Kannenfalle, rekrutiert diese keine Weiteren mehr. Ist die Falle aber zeitweise inaktiv, kann die Ameise auf ihrem Rückweg eine Duftspur legen, der weitere Artgenossen folgen können. Wird der Fallenrand dann plötzlich feucht, führt die Duftspur alle Ameisen, die ihr folgen, geradewegs in den Tod.
Für die Kannenpflanzen kann es also durchaus sinnvoll sein, ihre permanent schlüpfrige Wachsschicht zurückzubilden; zumindest wenn es in der Umgebung viele Ameisen gibt, die ihre Artgenossen zu der verhängnisvollen Nahrungsquelle rekrutieren können.