Federfresser oder Vogelfänger?
Jagen Fledermäuse wirklich Vögel? Es gibt zwar einzelne Berichte über Fledermäuse, die ruhende Vögel aufstöbern und fressen, aber gelingt es den fliegenden Säugetieren tatsächlich auch Vögel in der Luft zu greifen und zu überwältigen? Beobachten konnte ein solches Verhalten bis heute noch keiner.
Wenn es jedoch eine Fledermausart schaffen sollte, fliegende Vögel zu fangen, dann wohl der Riesenabendsegler (Nyctalus lasiopterus), denn diese kräftigen Tiere erbeuten regelmäßig sehr große Insekten. Als Wissenschaftler um Carlos Ibáñez den Kot von Riesenabendseglern in Spanien untersuchten, fanden sie neben den Überresten von Insekten auch regelmäßig Federn. Vor allem in bestimmten Monaten (von März bis Mai und von August bis November) nahm der Anteil von Federn im Fledermauskot stark zu; genau zu der Zeit, wenn massenweise Zugvögel über die Region hinwegfliegen, um zu ihren Überwinterungs- beziehungsweise Brutgebieten zu gelangen. Kleine Singvögel ziehen überwiegend während der Nacht und könnten so zur Beute der Fledermäuse werden. Untersuchungen der Echoortung und der Flügelform lieferten den Forschern Hinweise darauf, dass Riesenabendsegler auf die Jagd fliegender Tiere im freien Luftraum spezialisiert sind. So stoßen sie Rufe aus, mit denen sie ihre Beute schon von weitem erfassen können. Außerdem sind sie sehr schnelle Flieger, für die es wahrscheinlich schwierig ist, beispielweise in einem dichten Wald zu jagen.
Die 2001 veröffentlichte Studie der Forscher überzeugte andere Wissenschaftler jedoch wenig. „Ein Haufen Federn sagt noch lange nichts über die Ernährung von Fledermäusen aus“, so die Meinung von Fabio Bontadina und Raphaël Arlettaz, welche 2003 die Interpretation der Ergebnisse in Frage stellten. In ihrer Antwort auf die Studie argumentierten sie, dass es für eine Fledermaus kaum möglich sei, eine solch schwere Beute wie einen Vogel in der Luft zu greifen, zu töten und während des Fluges – wie bei Riesenabendseglern üblich – zu zerkleinern und zu fressen. Wahrscheinlich, so die Forscher, verwechselten die Fledermäuse lediglich in der Luft schwebende Federn mit langsam fliegenden Insekten und verschluckten diese dann. Die Echoortung der Riesenabendsegler ist in der Tat auf entferntere Beute ausgelegt und zeigt dementsprechend im Nahbereich nur eine relativ geringe Auflösung. So ist es für die großen Fledermäuse beispielsweise nicht möglich, einen in die Luft geworfenen Stein als nicht essbar zu identifizieren, weshalb dieser von ihnen zunächst wie eine Beute angeflogen wird. Die Tatsache, dass die Federn vermehrt während des Vogelzugs im Fledermauskot gefunden wurden, sei dadurch zu erklären, dass zu dieser Zeit einfach mehr Federn in der Luft zu finden seien.
Die Wissenschaftler machte ebenfalls stutzig, dass keine Knochen in den Kotproben gefunden wurden. Es schien ihnen sehr unwahrscheinlich zu sein, dass die Fledermäuse nur das Fleisch der Vögel verzehren, ohne zumindest ab und an einen Knochen mit hinunterzuschlucken. Die Forscher Gianna Dondini und Simone Vergari, die sich ebenfalls mit Riesenabendseglern beschäftigten, glaubten den Grund dafür zu kennen. Sie hatten nämlich Vogelknochen im Kot von Riesenabendseglern gefunden, wie sie in ihrem Artikel betonten. Sie nahmen an, dass die Knochen in den Kotproben, die in der ersten Studie untersucht wurden, schlicht übersehen worden waren, da sie meist sehr klein und fast durchsichtig seien.
Erst einige Jahre später wurde eine weitere Arbeit von Ana G. Popa-Lisseanu und Kollegen zu dem Thema veröffentlicht, an der auch Autoren der vorherigen Studien mitwirkten. Untersuchungen an stabilen Isotopen im Blut von Riesenabendseglern sollten das Rätselraten beenden. Durch den Vergleich mit der Isotopenzusammensetzung potentieller Beute (also zum Beispiel von Insekten sowie dem Blut und Fleisch von Singvögeln, aber auch von Federn) mit dem Fledermausblut lässt sich feststellen, was die Tiere verzehrt haben und wie viel davon (diese Methode wird in unserem Beitrag über die Ernährungsgewohnheiten von Höhlenbewohnern ausführlicher erklärt). Die Forscher entnahmen den Fledermäusen zu verschiedenen Jahreszeiten Blut, um zu sehen, inwiefern sich die Nahrung mit dem Einsetzen des Vogelzugs änderte. Im Sommer entsprach das Isotopenverhältnis im Blut der Fledermäuse einer Ernährung mit Insekten. Doch sobald die kleinen in der Nacht fliegenden Singvögel im Frühjahr und Herbst über die Untersuchungsregion zogen, änderte sich das Isotopenverhältnis, wie es für eine Ernährung mit Vogelfleisch typisch ist. Im Herbst scheinen sich die Fledermäuse sogar hauptsächlich von Vögeln zu ernähren.
Mittlerweile wurden auch weitere Fledermausarten gefunden, die vermutlich ebenfalls regelmäßig Vögel jagen. Adora Thabah und Kollegen präsentierten 2007 ihre Untersuchungen an einer Art von Glattnasen (Ia io). Der Kot dieser großen Fledermäuse aus Ost- und Südostasien enthält zu bestimmten Jahreszeiten ebenfalls zu einen erheblichen Anteil Vogelfedern. Die Tiere sind auch dazu in der Lage, sehr große Insekten zu erbeuten und sie ähneln den Riesenabendseglern in Flügelform und Echoortung. Eine von den Wissenschaftlern eingefangene Fledermaus hatte sogar Vogelfedern und Blutflecken an ihren Krallen. In einer Untersuchung aus dem Jahr 2013 wurden dann auch im Kot einer anderen Art von Abendseglern (Nyctalus aviator) Federn und Vogelknochenfragmente gefunden.
Wie genau die Fledermäuse die Vögel jedoch erbeuten, ist weiterhin unklar. Es ist unwahrscheinlich, dass diese großen und relativ wenig wendigen Fledermäuse Vögel in der Vegetation erbeuten können. Verschiedene Forscher vermuten deshalb, dass die untersuchten Fledermausarten Vögel in großer Höhe ergreifen, sodass sie nicht mit Bäumen oder anderen Objekten kollidieren können. Auch wenn immer noch keine direkten Beobachtungen einer solchen Jagd existieren, gibt es mittlerweile sehr gute Gründe anzunehmen, dass einige Fledermäuse regelmäßige Vogeljäger sind.