Das LWL-Museum für Naturkunde zeigt das Leben jenseits des Sonnenlichts.
Gleich am Eingang zur aktuellen Sonderausstellung des LWL-Museums für Naturkunde in Münster erwartet die Besucher ein abgedunkelter Raum. Nachdem sich die Augen an das schwache Licht gewöhnt haben, lassen sich überall scheinbar schlafende, präparierte Tiere entdecken. Es macht den Eindruck, als hätten sie sich mit dem Einbruch der Nacht zur Ruhe begeben. Doch für viele Lebewesen ist die Dunkelheit kein Anlass zu schlafen. Sie haben sich an ein Leben ohne Sonnenlicht angepasst. Ihnen widmet sich die Ausstellung „Leben in der Dunkelheit“.
Eine nachtaktive Lebensweise bietet Tieren Schutz vor tagaktiven Räubern und Konkurrenten. Auch die Trockenheit und Hitze des Tages lassen sich so gut vermeiden. Doch ein Leben in der Nacht stellt sie auch vor Herausforderungen. Um im spärlichen Licht gut sehen zu können, besitzen viele nachtaktive Tiere sehr große und leistungsfähige Augen. Und auch andere Sinne sind oft besonders gut ausgebildet. In der Ausstellung werden verschiedene Sinnesleistungen nachtaktiver Tiere vorgestellt, beispielsweise das äußerst feine Gehör des Fenneks (Vulpes zerda) und der Geruchssinn des Südlichen Streifenkiwis (Apteryx australis), mit dem dieser flugunfähige Vogel im Boden verborgene Würmer und Insekten wahrnehmen kann.
In jedem Winkel der Ausstellung lässt sich etwas entdecken. Von der Decke hängt das vergrößerte Modell eines Kleinen Leuchtkäfers (Lamprohiza splendidula). Diese Tiere können mit speziellen Organen selbst Licht erzeugen. Während ihres Paarungsflugs zur Sommersonnenwende dienen ihnen die Lichtsignale zur Partnersuche. Die Lichterzeugung durch Lebewesen bezeichnet man als Biolumineszenz. Und Leuchtkäfer sind nicht die einzigen Landtiere, bei denen Biolumineszenz vorkommt. Auch von verschiedenen anderen Gliederfüßern und sogar von einer Landschnecke (Quantula striata) ist bekannt, dass sie leuchten können.
Die Ausstellung umfasst zahlreiche interaktive Elemente, bei denen die Besucher selbst Hand anlegen können. So lässt sich mit den präparierten Flügeln von Bussard und Schleiereule selbst nachvollziehen, wie lautlos der Flügelschlag einer Eule ist. Auf einem Bildschirm können die Sinneseindrücke einer Grubenotter (Crotalinae) nachempfunden werden. Mit Hilfe zweier grubenartiger Organe am Kopf können diese Schlangen ein Wärmebild ihrer Umgebung wahrnehmen, wodurch sie ihre warmblütigen Beutetiere auch in mondloser Nacht aufspüren können.
Während die Dunkelheit der Nacht nur zeitweise währt, herrscht in anderen Lebensräumen ständige Finsternis. So gelangt in Meerestiefen von über 900 Metern keinerlei Sonnenlicht. Ein umfangreicher Bereich der Ausstellung widmet sich dem Leben in der lichtlosen Tiefsee. Verschiedene Organismen, die sonst in den Tiefen des Meeres verborgen leben, werden in der Ausstellung als detailgetreue Modelle gezeigt, darunter Bewohner des Meeresbodens, wie die Seegurke der Art Scotoplanes globosa und der Dreistelzenfisch (Bathypterois grallator), aber auch der gewaltige Riesenkalmar (Architeuthis dux). Andere Tiefseeorganismen, wie die überraschend große Riesenassel Bathynomus giganteus, sind als Präparate zu sehen.
Die Tiefsee ist ein relativ nährstoffarmer Lebensraum. Viele Organismen leben ausschließlich von dem, was aus höheren Wasserschichten herabsinkt. Fotosynthese, die Energiegewinnung aus Sonnenlicht, ist hier nicht möglich. An unterseeischen heißen Quellen, wie den sogenannten schwarzen Rauchern, bilden jedoch Chemosynthese betreibende Mikroorganismen die Grundlage einer einzigartigen Nahrungskette. Sie gewinnen Energie aus anorganischen Stoffen, wie Schwefelwasserstoff. In der Ausstellung ist ein maßstabsgetreues Modell eines schwarzen Rauchers aus dem Pazifischen Ozean zu sehen. Große Röhrenwürmer der Art Riftia pachyptila lassen sich hier ebenso entdecken wie tiefseebewohnende Krabben und Muscheln. Dass unterseeische heiße Quellen auch als Entstehungsort des Lebens auf der Erde vermutet werden, erfahren die Besucher in einem kurzen Film.
Die knappe Nahrung und die permanente Dunkelheit erfordern von Tiefseetieren spezielle Anpassungen und Strategien. So besitzen viele räuberische Tiefseefische riesige Mäuler und Zähne sowie extrem dehnbare Mägen. Diese verleihen ihnen nicht nur ein fremdartiges Aussehen, sondern ermöglichen auch das Verschlingen sehr großer Beutetiere, von denen sie dann lange Zeit zehren können. Und auch Leuchtorgane lassen sich bei vielen Tiefseetieren finden; beispielsweise bei den bizarren Tiefsee-Anglerfischen (Ceratioidei).
Mit einem detaillierten Audioguide, Texten in Blindenschrift und zahlreichen Objekten zum Anfassen richtet sich die Ausstellung ausdrücklich auch an blinde Menschen. So lädt beispielsweise das Modell eines Blobfisches (Psychrolutes marcidus) zum Ertasten ein. Diese skurrilen und noch kaum erforschten Bewohner des Meeresbodens besitzen ein äußerst weiches Skelett und eine sehr schwache Muskulatur.
Nicht nur in der Tiefsee, auch im Inneren von Höhlen herrscht ständige Dunkelheit. Und viele höhlenbewohnende Tiere unterscheiden sich sichtlich von ihren im Freien lebenden Verwandten. Durch die gleichbleibend hohe Luftfeuchtigkeit im Inneren von Höhlen besteht für ihre Bewohner keine Gefahr auszutrocknen. Deshalb besitzen viele Höhlentiere eine äußerst dünne Haut. Die ständige Dunkelheit führte bei vielen Arten außerdem zu einer Zurückbildung von Augen und Körperpigmentierung sowie zur Entwicklung eines ausgeprägten Geruch- und Tastsinns. In der Ausstellung können die Besucher verschiedene Höhlenbewohner in einem begehbaren Höhlenmodell kennenlernen.
Eines der vorgestellten Tiere ist das einzige permanent in Höhlen lebende Wirbeltier Europas: der Grottenolm (Proteus anguinus). Diese wasserbewohnenden Amphibien sind blind und besitzen eine unpigmentierte, weiß oder blassrosa erscheinende Haut. Sie kommen ausschließlich im dinarischen Karst, dem Kalkgebirge an der Ostküste des Adriatischen Meeres, vor. Grottenolme können bis zu hundert Jahre alt werden. Gelegentlich werden einzelne Tiere aus ihrem unterirdischen Lebensraum an die Oberfläche gespült. Ihre sonderbare Erscheinung bot Anlass, sie für junge Drachen zu halten. Auch wurden sie wegen ihrer Hautfarbe als „Menschenfischlein“ bezeichnet.
Zu den spektakulärsten Höhlenorganismen gehören wohl die in Neuseeland lebenden Pilzmücken der Art Arachnocampa luminosa. Die Larven dieser Tiere, die in selbstgebauten Nestern an der Decke von Höhlen leben, erzeugen an ihrem Hinterleib ein blaugrünes Glimmen. Viele Tausend von ihnen lassen die Höhlendecke wie einen Sternenhimmel erscheinen. Dieses Phänomen lässt sich besonders gut in den Waitomo Caves auf der Nordinsel Neuseelands bestaunen, die in der Ausstellung in Form eines Dioramas nachgebildet sind. Die Pilzmückenlarven ernähren sich von kleinen Insekten, welche sie durch ihr Leuchten anlocken und mit herabhängenden Klebefäden einfangen.
Für viele Fledermausarten sind Höhlen wichtige Rückzugsorte. In der Dunkelheit orientieren sie sich mit Hilfe von Echoortung. Die dafür ausgestoßenen Rufe liegen dabei größtenteils oberhalb des menschlichen Hörfrequenzbereichs. In der Ausstellung können die Besucher ihre eigene Hörschwelle für hochfrequente Töne mit einem Lautsprecher testen, bei dem sich die Höhe eines Tones kontinuierlich bis in den Ultraschallbereich ändern lässt.
Auch bodenbewohnende Organismen leben im Dunkeln. Maulwürfe (Talpa europaea) haben zur Wahrnehmung von Artgenossen, Beutetieren und Fressfeinden ein besonders feines Gespür für Erschütterungen entwickelt. Wie intensiv ein Maulwurf es wahrnimmt, wenn ein Mensch über seinen Lebensraum läuft, wird mit einer Lautsprecherinstallation erlebbar gemacht.
In der Ausstellung wird auch der immer noch wenig erforschte Lebensraum Grundwasser vorgestellt. Eine Grafik erklärt die Entstehung von Grundwasser durch Versickerung von Niederschlägen und oberirdischen Gewässern. Die Besucher können verschiedene Grundwasserorganismen, darunter die mikroskopisch kleinen Bärtierchen (Tardigrada) und die blinden Höhlenflohkrebse (Niphargus), kennenlernen. Und auch andere Aspekte des Lebens im Boden, beispielsweise verschiedene Grabwerkzeuge von Tieren und die unterschiedlichen Baue von Bodenbewohnern werden präsentiert.
Unter dem Titel „Ist da eine Uhr in mir?“ wird die Funktionsweise der inneren Uhr des Menschen behandelt. Zwar ist der Mensch generell tagaktiv, doch ist sein Schlaf-Wach-Rhythmus individuell sehr unterschiedlich. Dabei gibt es generell drei verschiedene Zeittypen – den Frühaufsteher („Lerche“), den Normaltyp und den Spätaufsteher („Eule“). Mit Hilfe eines interaktiven Tests können die Besucher ihren eigenen Zeittyp bestimmen.
Der letzte Teil der Ausstellung behandelt die Kulturgeschichte der Dunkelheit. Lichtlose Nächte und finstere Orte, wie Höhlen oder unterirdische Begräbnisstätten, lösen bei vielen Menschen Angst aus und boten oftmals Grundlage für Sagen und Legenden. An Hörstationen können die Besucher verschiedenen Sagen aus dem Münsterland lauschen (hier auch online anzuhören). Von der Decke hängen zahlreiche weiße Stoffbahnen, die den Raum unterteilen. Man kann ein wenig den Eindruck gewinnen, zwischen Bäumen umherzugehen. Auf jeder der Stoffbahnen wird ein anderes Fabelwesen präsentiert. Am Ende der Ausstellung werden schließlich noch die Geschichte des künstlichen Lichtes und verschiedene Hilfsmittel für blinde Menschen vorgestellt.
Im Ganzen ist „Leben in der Dunkelheit“ eine äußerst sehens- und auch ertastenswerte Ausstellung. Viele unterschiedliche Aspekte des Lebens ohne Licht werden spannend, ausführlich und auf einem hohen fachlichen Niveau behandelt. Die Vielfalt an interaktiven Elementen und der Einsatz von Multimedia sorgen für viel Abwechslung. Wer mehr über die sonst verborgenen, lichtlosen Welten erfahren will, sollte die Sonderausstellung bis zum 29. Mai 2016 im LWL-Museum für Naturkunde besuchen.
Vielen Dank für den tollen Beitrag zu unserer Sonderausstellung. Die Ausstellungsinhalte wurden ausgezeichnet wiedergegeben. Es freut uns sehr, dass wir als sehenswerte Ausstellung bewertet wurden. Vielen Dank dafür.