Delicious Decay: The Edible Body Farm – Kurz vor Halloween fand im Londoner Barts Pathology Museum eine Veranstaltung statt, auf der es Leichengerüche zu schnuppern und Körperteile aus Kuchen zu probieren gab.
Was hat Schokoladenkuchen mit verwesenden Leichen zu tun? In beiden findet sich die chemische Substanz Indol. Im Kuchen stammt sie aus dem Tryptophan der Kakaobohne, einer Aminosäure, die zum Teil aus Indol besteht. Bei vielen Organismen, so auch beim Menschen, ist diese Aminosäure an wichtigen Körperfunktionen beteiligt. Bei der Zersetzung einer Leiche zerfallen auch die Aminosäuren und das stark riechende Indol wird frei.
Inspiriert von dieser besonderen Substanz hat das Barts Pathology Museum in London am Wochenende vor Halloween die Veranstaltung „Delicious Decay: The Edible Body Farm“ („Köstlicher Verfall: Die essbare Body Farm“) ausgerichtet, die wir besucht haben. Unter einer Body Farm versteht man ein Gelände, in dem Verwesungsprozesse von Leichen wissenschaftlich untersucht werden, um beispielsweise die Liegezeit von Verstorbenen unter bestimmten Bedingungen genauer bestimmen zu können. Weltweit gibt es nur wenige solcher Einrichtungen, die sich alle in den USA befinden. Derzeit setzen sich verschiedene Personen für die Errichtung einer Body Farm im Vereinigten Königreich ein.
Auf der Veranstaltung im Pathologiemuseum präsentierten sich verschiedene Aussteller mit Ständen. So gab es eine Vorführung der forensischen Anthropologin Anna Williams von der Universität Huddersfield, bei der man einzelne Duftkomponenten zu riechen bekam, die für den Verfall einer Leiche charakteristisch sind. Wir waren überrascht, dass ein frischer Leichnam unter anderem nach geschnittenem Gras riecht. Dafür ist die Substanz Hexanal verantwortlich. Wenn jedoch die bakterielle Zersetzung einsetzt und sich der Leichnam unter den entstehenden Gasen aufzublähen beginnt, ändert sich dies. Ein ganzer Cocktail von Duftstoffen macht den typischen Leichengeruch in diesem Stadium aus. Einer davon ist das anfangs erwähnte Indol, welches in kleinen Mengen einigen Parfüms beigesetzt ist und in hoher Konzentration an den Gestank von Fäkalien erinnert. Im weiteren Verlauf des Zersetzungsprozesses sticht ein penetranter, fischiger Gestank in die Nase: Trimethylamin. Erst, wenn das Fleisch komplett verwest ist und die Knochen zu verfallen beginnen, wird der Geruch wieder angenehm und erinnert ein wenig an frische Erde. Anna Williams erklärt, dass die Isolation der charakteristischen Duftkomponenten dabei helfen soll, Leichenspürhunde effektiver zu trainieren.
Ein Ventilator neben dem Stand mit der Vorführung ließ die flüchtigen Leichengerüche durch das Pathologiemuseum wehen und verlieh den anderen Ständen so eine passende Duftkulisse. An einem Großteil der Stände zeigten und verkauften Konditoren und Chocolatiers ihre makaberen essbaren Kunstwerke. Wir sahen meisterhaft gefertigte Schädel aus bemalter weißer Schokolade, Petrischalen mit farbigen „Schimmelkulturen“, mit Marmelade gefüllte Augäpfel sowie essbare Knochen und Hautteile in Aluschalen, die an Lasagne zum Mitnehmen erinnerten. Viele der Kuchen und anderen Süßwaren waren verwesenden Körperteilen nachempfunden. Blau angelaufene Haut-Lollis steckten in einem Fuß, der seiner Farbe nach zu urteilen schon vor längerer Zeit von seinem Besitzer abgetrennt wurde. Auf einem Plätzchen wurden die Phasen des Verfalls an einer Zuckerguss-Hand dargestellt. Jeder Finger spiegelte dabei einen anderen Zustand wieder – von der frischen Leiche über verschieden weit fortgeschrittene Verwesung bis zu trockenen Überresten. Kleine Törtchen veranschaulichten, was passiert, wenn sich Fliegen auf einer Wunde niederlassen. Die essbare Dekoration der Küchlein zeigte einige Fliegeneier, etwas weiter eine Made, daneben eine Puppe und schließlich eine erwachsene Fliege. Fliegen sind oft die ersten Besiedler von Leichen. Sie werden von den Leichengerüchen, wie zum Beispiel von Indol, angelockt. Ihre Larven ernähren sich vom Fleisch des Kadavers und tragen so wesentlich zu seiner Zersetzung bei.
Einer der Stände (von Nuala Clooney und Kaye Winwood) bot Süßigkeiten an, die in Form von Zungen und Mündern gegossen waren. Diese Kreationen bestanden aus in Honig eingelegtem Schinken und spielten auf den Prozess der Mellifikation an, bei dem Leichen in Honig konserviert wurden. Einer chinesischen Legende aus dem 16. Jahrhundert zufolge sollen sich einst ältere Männer zum Opfer dargeboten haben, indem sie sich ausschließlich von Honig ernährten und darin badeten, bis sie selbst begannen Honig auszuscheiden und auszuschwitzen. Nach ihrem Tod sollen sie in einem steinernen Sarg voller Honig mumifiziert worden sein, um sich nach über hundert Jahren schließlich in ein Heilmittel gegen diverse Krankheiten zu verwandeln.
An einem weiteren Stand konnte man Cocktails erwerben – giftige Cocktails. Allerdings waren die Gifte in so geringen Dosen enthalten, dass sie für den Menschen ungefährlich waren. Einer der Cocktails enthielt beispielsweise Zimt. Vor allem der günstige Cassiazimt aus der Rinde der Zimtcassie (Cinnamomum cassia) enthält relativ hohe Konzentrationen des giftigen Cumarins, das in größeren Mengen Kopfschmerzen und Erbrechen erzeugt und sogar zu Koma und Atemstillstand führen kann. Ein anderer angebotener Cocktail enthielt Saft von Grapefruits (Citrus × paradisi). Während der hohe Vitamin-C-Gehalt dieser Zitruspflanze als äußerst gesund gilt, kann das enthaltene Naringenin in hohen Dosen ein bestimmtes Enzym in der Leber blockieren, sodass einige Stoffe nicht oder nur langsam abgebaut werden können und es zu starken Vergiftungserscheinungen kommen kann.
Ein besonderes Glanzstück der Veranstaltung war der große, von Conjurer’s Kitchen angefertigte Kadaverkuchen, der aussah wie eine verwesende Frauenleiche. Das „verwesende Fleisch“ war an einigen Stellen dunkel verfärbt und Marzipan-Maden saßen auf der Backware. Und das Beste an dem Kuchen war, dass alle Besucher von ihm probieren durften. Die Löffel gruben sich unter die Marzipan-Haut, sodass der rot gefärbte Kuchen zum Vorschein kam. Frische Marzipan-Maden wurden immer wieder in die entstandenen „Wunden“ gelegt. Ganz so, wie es bei einer echten Leiche der Fall wäre; denn Maden besiedeln tote Körper überall dort, wo die Haut Öffnungen aufweist, wie an Augen und Genitalien, oder wo sie beschädigt ist. Der Kadaverkuchen schmeckte erstaunlich gut und selbst die Erde und die Kieselsteine waren essbar.
Das Barts Pathology Museum, welches Teil der Queen Mary University of London ist, bot mit seinen rund 5000 medizinischen Präparaten den perfekten Ort für die essbare Body Farm. Normalerweise ist der Zutritt zu dem, am St Bartholomew’s Hospital befindlichen, Museum nur zu Studienzwecken möglich, doch finden dort regelmäßig interessante Vorträge und andere Veranstaltungen statt, zu denen sich die Besucher auch die konservierten Objekte ansehen können.
Leckerst! Das hätte ich mir auch gern angesehen und genossen. Im Gruselkabinett hat es sich ja nun ausgefingert.
Wir haben uns die verwesenden Körperteile auf jeden Fall schmecken lassen und einige haben auch ihren Weg in unsere Süßigkeiten-Schale gefunden (Finger waren übrigens auch mit dabei).