Die eingeschleppte Kantige Laubschnecke hat auf Friedhöfen in Berlin Fuß gefasst.
Im Trubel der Stadt bilden Friedhöfe Oasen der Ruhe. Die Begräbnisstätten sind dabei nicht nur Orte der Trauer und Erinnerung sowie Zeugnisse lokaler Geschichte und Kultur – sie bieten auch vielen Tier- und Pflanzenarten eine Heimat. Der Rolle von Friedhöfen als Lebensraum widmet sich unser Forschungsprojekt „Leben zwischen Gräbern“ am Berliner Museum für Naturkunde. Im Rahmen dieses Projekts haben wir im vergangenen Jahr auf einigen Berliner Friedhöfen die dort vorkommenden Schnecken untersucht.
Landschnecken haben es im dicht besiedelten städtischen Raum, in dem die Böden großflächig versiegelt sind, oft nicht leicht. Daher können Friedhöfe für sie dort wichtige Rückzugsorte darstellen. Auf Berlins Friedhöfen kommen viele verschiedene Schneckenarten vor; sie verbergen sich in Mauerritzen, kriechen an verwitterten Grabsteinen und im dichten Efeu oder lassen sich zwischen dem Laub und in der dunklen Friedhofserde finden. Zusammen mit unserer Kollegin Eva Hackenberg stießen wir auf mehreren Friedhöfen allerdings auch auf eine Schneckenart, die wir nicht erwartet hatten.
Auf zwei der von uns untersuchten Friedhöfe entdeckten wir zahlreiche Individuen der nichteinheimischen Kantigen Laubschnecke (Hygromia cinctella), die aus Berlin und Brandenburg bislang nicht bekannt war. Diese Art kann gut anhand der ausgeprägten, häufig hell gebänderten Kante des etwa einen Zentimeter breiten Gehäuses identifiziert werden. Dass sich der Neuankömmling auf den beiden Friedhöfen bereits fest etabliert hat, zeigte sich auch an der großen Zahl gefundener Jungtiere. Eine Veröffentlichung dazu ist nun in der Fachzeitschrift Mitteilungen der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft erschienen. Anhand von Citizen-Science-Plattformen, auf denen Freiwillige Fotos von beobachteten Tieren und Pflanzen hochladen, konnten wir außerdem nachvollziehen, dass die Kantige Laubschnecke nicht erst 2022, sondern mindestens schon 2019 in Berlin angekommen ist.
Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet der Art liegt auf der Italienischen Halbinsel, von wo aus sie sich, insbesondere seit Mitte des 20. Jahrhunderts, in viele Regionen West- und Mitteleuropas ausgebreitet hat. Interessanterweise scheinen Friedhöfe bei der Ausbreitung der Art wiederholt eine Rolle gespielt zu haben, denn auch in verschiedenen Regionen Ungarns und Österreichs wurden die Schnecken zuerst an diesen Orten gefunden. Die Art wurde in Deutschland erstmals 1995, an der Donau in Bayern, nachgewiesen. Berlin erreichten die Schnecken wahrscheinlich mit Hilfe des Menschen, vielleicht als blinde Passagiere mit Pflanzen oder Erde.
Der Neuankömmling blieb auch der Tierwelt auf Berlins Friedhöfen nicht verborgen. Anhand bestimmter Fraßspuren an leeren Gehäusen konnten wir feststellen, dass die Kantige Laubschnecke offenbar regelmäßig auf dem Speiseplan von Mäusen und schneckenfressenden Käfern landet. Inwiefern sie mit heimischen Schneckenarten interagiert oder gar konkurriert, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall ist anzunehmen, dass die Art sich in Berlin und Umgebung rasch weiter ausbreiten wird. So werden sich in Zukunft nicht nur die Tiere auf Berlins Friedhöfen ihren Lebensraum mit den Neubürgern teilen müssen.