Viele Berichte bezeugen, dass Elefanten ein ausgeprägtes Interesse an toten Artgenossen haben.
Treffen Elefanten auf verstorbene Artgenossen, verhalten sie sich auffällig. Sie untersuchen die Toten ausgiebig, beriechen sie und zeigen Anzeichen von Stress. Elefanten sind sehr soziale Tiere und abgesehen von ausgewachsenen Bullen, die auch einzelgängerisch unterwegs sind, leben sie in Herdenverbänden. Diese können vorübergehend auch mit anderen Elefantenherden zusammentreffen. Zwischen individuellen Elefanten derselben oder verschiedener Herden bestehen Sozialbeziehungen ganz unterschiedlicher Stärke. Die Tiere können verschiedene Artgenossen unterscheiden, kennen ihre Beziehung zueinander und besitzen zudem ein sehr gutes Gedächtnis. Für die Erkennung individueller Artgenossen spielt bei Elefanten der Geruchssinn eine wichtige Rolle.
Die beiden Forscher Shifra Z. Goldenberg und George Wittemyer sind Berichten über Elefanten, die auf tote Artgenossen treffen, nachgegangen und haben erfasst, welche Verhaltensweisen die Tiere bei solchen Kontakten zeigen. Für ihre Studie, die in der Fachzeitschrift Primates veröffentlicht wurde, konnten sie insgesamt 32 Berichte auswerten. Fast alles waren Beobachtungen an Afrikanischen Steppenelefanten (Loxodonta africana); nur eine fand an Afrikanischen Waldelefanten (Loxodonta cyclotis) statt.
In vielen der beschriebenen Fälle kamen die Elefanten dicht an die Kadaver heran, berührten sie mit dem Rüssel und betasteten und berochen sie eingehend. Dabei waren für sie alle Stadien des Verfalls interessant; von kürzlich verstorbenen Tieren bis hin zu alten Knochen. Seltener wurde beobachtet, dass Elefanten versuchten, auf Kadaver zu klettern. Das geschah jedoch nur bei frisch verstorbenen Tieren. Durch solch ein Verhalten wollten sie vielleicht ihre Dominanz zeigen oder die toten Tiere zu einer Reaktion provozieren. Auffallend aggressiv gegenüber einem verstorbenen Artgenossen zeigte sich ein weiblicher Waldelefant, der sogar Stücke des Kadavers in seinen Mund steckte.
Die Forscher beschrieben in ihrer Studie auch eine eigene Beobachtung an Steppenelefanten in Kenia. In einer Herde war die Leitkuh, das ranghöchste weibliche Tier, verstorben. Die Mitglieder der Herde und ihre Verwandtschaftsbeziehungen waren den Forschern aus vorherigen Untersuchungen bekannt. Nach dem Tod der Leitkuh versammelten sich rund vierzig Elefanten um ihren Kadaver. Nach einer Weile löste sich die Ansammlung auf und die Tiere zogen weiter; der vierzehn Jahre alte Sohn der toten Leitkuh war der letzte, der direkt bei ihrem Körper blieb. Die zehn Jahre alte Tochter verweilte noch länger in der weiteren Umgebung ihrer verstorbenen Mutter und graste. Bevor auch sie den Ort verließ, lief ihr Schläfendrüsensekret das Gesicht herunter. Diese körperliche Reaktion weist auf einen emotionalen Erregungszustand hin; vermutlich stand das Tier unter starkem Stress. Auch wenn Elefanten auf einen nicht näher mit ihnen verwandten toten Artgenossen treffen, können ihre Schläfendrüsen eine erhöhte Aktivität zeigen.
Als die Forscher die tote Leitkuh untersuchten, entdeckten sie zwei kleine Wunden, die wahrscheinlich erst nach ihrem Tod entstanden waren. Sie vermuten, dass ihr diese Verletzungen von ihrem Sohn, beim Versuch sie aufzurichten, zugefügt wurden. Solch ein Verhalten zeigen Elefanten nur an lebenden oder ganz frisch verstorbenen Artgenossen. Am nächsten Tag kamen erneut einige Elefanten, darunter ihr Sohn, zum Kadaver. Auch Mitglieder einer anderen Herde waren diesmal dabei. Selbst nachdem der Kadaver schon stark von Aasfressern zerfleddert worden war, kamen wiederholt Gruppen von Elefanten. Einige der Tiere waren recht inaktiv und standen mit hängenden Rüsseln in der Nähe, andere zeigten Dominanzerhalten, wie es beispielsweise auftritt, wenn mehrere Individuen an die gleiche Futterquelle wollen. Hier wollten sie offensichtlich zum toten Tier gelangen.
Während die Knochen und Stoßzähne verstorbener Artgenossen von Elefanten untersucht, berochen und sogar umhergetragen werden, zeigen sie an den Überresten anderer großer Tiere kein ausgeprägtes Interesse. Ihr leistungsfähiger Geruchssinn ermöglicht ihnen offenbar, Elefantenknochen zu identifizieren.
Wegen ihrer komplexen und dynamischen Sozialbeziehungen ist es für Elefanten wichtig, auf dem Laufenden zu bleiben, welche Tiere zu welchen Herden gehören. Durch das intensive Erkunden von Kadavern können Elefanten vermutlich verstorbene Artgenossen identifizieren. Der Tod eines Tieres kann wichtige Veränderungen in ihrem Sozialgefüge bedeuten. Doch damit allein kann das Verhalten von Elefanten gegenüber ihren toten Artgenossen nicht erklärt werden, denn die Tiere suchen auch solche Kadaver auf, die sie bereits ausgiebig untersucht haben. Auch stehen Elefanten häufig einfach inaktiv um einen Toten herum ohne ihn zu untersuchen, wobei es vielfach zu einer erhöhten Aktivität ihrer Schläfendrüsen kommt. Die Forscher vermuten, dass für solche Verhaltensweisen emotionale Gründe eine Rolle spielen und möglicherweise trauern die Tiere auf diese Weise tatsächlich um die Verstorbenen. Auch wenn unklar bleibt, wie genau Elefanten den Tod eines Artgenossen wahrnehmen, ist es für sie zweifellos ein Ereignis, das bei ihnen großes Interesse und starke Emotionen auslöst.
Vielleicht war es der besondere Umgang von Elefanten mit ihren Toten, vor allem aber wohl lokale Ansammlungen von Elefantenknochen, die den Mythos der Elefantenfriedhöfe nährten. Kranke und alte Elefanten sollen diese Orte instinktiv aufsuchen, um dort ihre letzte Ruhestätte zu finden. Vielleicht kommen solche Tiere wegen der besseren Verfügbarkeit von Wasser und weicherer Nahrung tatsächlich an bestimmte Orte, an denen viele von ihnen letztendlich auch versterben. Möglicherweise wurden die Elefanten, deren Überreste an solchen Plätzen gefunden wurden, aber auch nur Opfer desselben Ereignisses, beispielsweise einer Überschwemmung oder Jagd.