Alexander von Humboldts abenteuerliche Geschichte von angreifenden Zitteraalen konnte in Experimenten erstmals bestätigt werden.
Vor rund zweihundert Jahren berichtete der Naturforscher Alexander von Humboldt (1769-1859) scheinbar Unglaubliches. Auf einer seiner Forschungsreisen wollte er in den Sümpfen Venezuelas lebende Zitteraale (Electrophorus electricus) fangen, um sie zu untersuchen. Da die Einheimischen sich vor den Zitteraalen fürchteten, griffen sie zu einer ungewöhnlichen Maßnahme, um die Fische für Humboldt zu fangen. Die Einheimischen trieben Pferde und Maultiere in das Gewässer, in dem die Zitteraale lebten. Humboldt erklärte dazu: „Nämlich der durch das Stampfen der Pferde verursachte Lärm scheucht die Zitteraale aus dem Schlamme hervor und reizt sie zur Gegenwehr; sie schwimmen auf die Oberfläche des Wassers und drängen sich unter den Bauch der Pferde und Maulthiere.“ Die Pferde, die aus dem Gewässer zu fliehen versuchten, wurden von den Einheimischen wieder ins Wasser zurückgescheucht. Humboldt beschrieb: „Die Zitteraale, vom Lärm erschreckt, vertheidigen sich durch wiederholte Entladungen ihrer elektrischen Organe“, und weiter schilderte er: „viele Pferde erliegen der Kraft der unsichtbaren, elektrischen Schläge […], und sinken, von der Menge und Stärke der Schläge betäubt, im Wasser unter.“ Laut Humboldts Bericht war es ein äußerst verlustreicher Kampf. Er beschrieb, dass schon nach fünf Minuten zwei der angegriffenen Pferde ertrunken sein sollen. Schließlich konnten fünf der erschöpften Zitteraale für Humboldts Untersuchungen gefangen werden. Lange Zeit wurden Humboldts Schilderungen als übertrieben oder gar als frei erfunden angesehen. Nun hat ein Wissenschaftler jedoch erstmals zeigen können, dass die Geschichte höchstwahrscheinlich auf Tatsachen beruht.
Zitteraale gehören zur Ordnung der Neuwelt-Messerfische (Gymnotiformes) und sind im tropischen Südamerika verbreitet. Sie können mehr als zwei Meter lang werden und leben im schlammigen Süßwasser, wo sie andere Fische jagen. Zitteraale besitzen spezielle elektrische Organe entlang des Körpers. Diese bestehen aus umgebildeten Muskelfasern, die so verschaltet sind, dass sie eine Spannung von bis zu 800 Volt aufbauen können. Der Kopf des Tieres bildet dabei den Plus- und die Schwanzspitze den Minuspol. Zitteraale nutzen ihre elektrischen Organe für die Jagd (sie können andere Fische mit Stromschlägen betäuben oder sogar töten), zur Abgrenzung ihres Reviers und zur Orientierung.
Dass Zitteraale aber aus dem Wasser springen und größere Tiere gezielt mit Stromschlägen angreifen, sollte zweihundert Jahre lang nicht wieder beschrieben werden. Der Forscher Kenneth C. Catania konnte dieses ungewöhnliche Verhalten jedoch zufälligerweise erneut erleben, als in seinem Labor einige Zitteraale für Versuche mit einem Kescher umgesetzt werden sollten. Der Kescher hatte einen Metallrahmen und die Tiere sprangen aus dem Wasser und griffen den Kescher mit Stromschlägen an, ganz ähnlich wie Humboldt es beschrieben hatte. Catania untersuchte daraufhin das Verhalten der Fische genauer, um herauszufinden, warum und unter welchen Voraussetzungen sich Zitteraale für einen Angriff aus dem Wasser erheben. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen wurden in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht. Für seine Experimente nutzte er verschiedene Objekte, wie Stangen und Platten aus Metall sowie Attrappen von Krokodilköpfen und menschlichen Armen, die er halb in das Wasser der Versuchsbecken mit den Zitteraalen eintauchte. Wenn die Fische angriffen, maß er Stromstärke und Spannung in den Objekten.
Bei ihren Angriffen katapultierten die Zitteraale ihre Körper mit kräftigen Schwanzschlägen aus dem Wasser heraus. Dabei pressten sie die Unterseite des Kopfes an die Objekte, während sie einen Stromschlag nach dem anderen abgaben. Je weiter ein angreifender Zitteraal dabei aus dem Wasser heraussprang, desto größer waren die gemessene Stromstärke und Spannung in dem Objekt. Während sich der Strom unter Wasser relativ gleichmäßig in alle Richtungen verteilt, wird er außerhalb des Wassers direkt vom Kopf des Zitteraals auf das Ziel geleitet und durchfließt dieses. Je weiter der Fisch nach oben springt, um seinem Ziel einen Elektroschock zu versetzen, desto weiter ist auch der Weg, den der Strom durch das Objekt Richtung Wasser zurücklegt. Durch das Herausschnellen können Zitteraale halb im Wasser eingetauchten Feinden also viel effektivere Elektroschocks verpassen, als wenn sie diese unter Wasser angreifen würden.
Zitteraale verhalten sich besonders aggressiv, wenn sie keine Fluchtmöglichkeit haben. Das war in den Versuchsaquarien der Fall, weshalb die Fische bereitwillig alle eingetauchten Objekte angriffen. In freier Wildbahn werden die Gewässer, in denen Zitteraale leben, im Laufe der Trockenzeit immer kleiner und die Fische sammeln sich in Restbecken. Sind diese Becken isoliert, müssen die Tiere dort bis zur nächsten Regenzeit verbleiben. Humboldts Erlebnis mit den Zitteraalen in Venezuela spielte sich am Ende der Trockenzeit ab. Wahrscheinlich waren die Tiere in einem Restbecken ohne Fluchtmöglichkeit gefangen und daher bereit, die herumtrampelnden Pferde auf so verheerende Weise anzugreifen.
Die Vanderbilt University hat ein Video veröffentlicht, das die Ergebnisse der Studie zusammenfasst. Ab Minute 1:32 sieht man, wie verschiedene Attrappen angegriffen werden. Die Elektrizität wird mit dem Aufleuchten von Dioden sichtbar gemacht.