Die Ausstellung „The Power of Poison“ in London
Sie wirken unsichtbar, geheimnisvoll und tödlich – Gifte. In der derzeit in London gezeigten Ausstellung „The Power of Poison“ erfährt man Hintergründe zur Herkunft tierischer und pflanzlicher Gifte, zu Sagen von magischen Tränken sowie zu historischen Giftmorden. Grün leuchtend ist im ersten Raum der Ausstellung, die vom American Museum of Natural History entwickelt wurde, das Wort „Poison“ („Gift“) zu lesen. Ein kurzer Film erklärt, dass Gifte Stoffe sind, die mit Prozessen im Körper wechselwirken und ihm dabei schaden. Je nach Art des Giftes kann es so zu unterschiedlichen Symptomen, wie zu Hautausschlägen, Krämpfen oder Atemnot kommen. Entscheidend, ob ein Stoff als Gift wirkt, ist die Dosis. Das erkannte schon Paracelsus (1493-1541). Kochsalz beispielsweise ist für die Prozesse im menschlichen Körper lebensnotwendig. Ein ganzes Schälchen davon, bringt die chemische Balance im Organismus aber völlig durcheinander und kann tödlich sein. Die Giftigkeit eines Stoffes kann außerdem bei unterschiedlichen Lebewesen grundlegend verschieden sein. Was für die eine Art harmlos ist, kann der anderen den Tod bringen.
Regenwaldgeräusche wie Zirpen und Vogelrufe leiten den Besucher weiter in die Ausstellung hinein. Der folgende Teil ist einem kolumbianischen Regenwald nachempfunden. In einem Terrarium sind kleine gelbe Frösche zu sehen. Es sind Pfeilgiftfrösche der Gattung Phyllobates. Diese Frösche zählen zu den giftigsten Tieren überhaupt. Über ihre Haut geben sie das Alkaloid Batrachotoxin ab, das eine anhaltende Muskelverkrampfung auslöst. Die Jäger des indigenen Volkes der Embera in Kolumbien nutzen das hochpotente Gift für die Jagd, indem sie die Pfeile für ihre Blasrohre mit dem Hautsekret der Frösche präparieren. Wenn die Jäger das Fleisch ihrer Beutetiere anschließend kochen und essen, ist das Gift für sie hingegen harmlos. Die grelle Farbe der Pfeilgiftfrösche soll Fressfeinde vor ihrer Giftigkeit warnen. Die Frösche in der Ausstellung sind allerdings völlig ungefährlich; sie können ihr Gift nämlich nur herstellen, wenn sie ganz bestimmte alkaloidhaltige Gliederfüßer fressen.
Zur Abwehr von Fressfeinden haben auch viele Pflanzen Gifte entwickelt. Als „Äpfelchen des Todes“ werden die Früchte des Manchinelbaum (Hippomane mancinella) bezeichnet, die bei Verzehr starke Schwellungen in der Kehle sowie Atemnot hervorrufen. Der Baumsaft kann vorübergehende Blindheit verursachen und man sollte selbst bei Regen nicht unter den Blättern des Baumes stehen, denn das herabtropfende Wasser erzeugt Bläschen auf der Haut.
Einige Gifttiere sind als detailgetreue, vergrößerte Modelle zu sehen, wie die 24-Stunden-Ameise (Paraponea clavata) aus Mittel- und Südamerika. Der Stich dieser Ameise verursacht einen intensiven Schmerz, der bis zu 24 Stunden andauern kann. Man sollte um die Nester dieser Insekten also besser einen großen Bogen machen. Das Volk der Sateré-Mawé in Südamerika nutzt die Ameisen jedoch für einen ungewöhnlichen Initiationsritus, bei dem die jungen Männer mehrere Minuten lang Handschuhe tragen müssen, die mit zahlreichen dieser wehrhaften Insekten gefüllt sind.
Ein kurzer Film, der in der Ausstellung gezeigt wird, berichtet über den rätselhaften Tod eines Campers in Nordamerika und wie man seiner Todesursache auf die Schliche kam. In seinem Kochtopf fand sich ein Westamerikanischer Wassermolch (Taricha), den der ahnungslose Mann anscheinend zusammen mit Wasser aus einem Fluss erhitzt hatte. Beim Trinken des Wassers hatte er das Gift des Molches zu sich genommen. Westamerikanische Wassermolche besitzen das Nervengift Tetrodotoxin, welches eine Lähmung der Muskeln (auch der Atemmuskulatur) auslöst. Doch warum ist ein kleiner Molch derart giftig, dass er einen ausgewachsenen Menschen umbringen kann? Sehr starke Gifte von Tieren und Pflanzen sind oftmals das Ergebnis eines über Generationen hinweg andauernden Wettrüstens zwischen Jägern und Gejagten. In diesem Fall sind die Molche die Gejagten. Die Jäger sind Schlangen, welche die giftigen Molche fressen. Durch natürliche Auslese wurden die Schlangen mit jeder Generation immuner gegen das Gift der Molche, während deren Gift nach und nach immer stärker werden musste, um eine Chance gegen die Schlangen zu haben.
Gifte und ihre Symptome lassen sich in zahlreichen Erzählungen finden. Große Aufsteller in der Ausstellung zeigen die Teeparty aus Lewis Carrolls (1832-1898) Roman „Alice im Wunderland“, bei der Alice auf den verrückten Hutmacher trifft. Die sonderbare Figur des Hutmachers ist dabei nicht allein der Phantasie des Autors entsprungen. Im 19. Jahrhundert wurde die englische Redewendung „mad as a hatter“ („verrückt wie ein Hutmacher“) geprägt. Zu dieser Zeit kam es nämlich nicht selten vor, dass sich Hutmacher merkwürdig benahmen und unter starker Reizbarkeit, Persönlichkeitsveränderung und pathologischem Zittern litten. Dies war auf giftige Quecksilbersalze bei der Hutherstellung zurückzuführen, die auf Dauer Gehirn und Nerven schädigten.
Sagen und Legenden aus aller Welt greifen die Wirkung von Giften auf. Einer afrikanischen Legende zufolge waren die Menschen einst unsterblich. Sie waren mit den Kaninchen verfeindet und eines Tages brachte ein Kaninchen einem Mann eine Pflanzenwurzel als Geschenk. Dahinter steckte jedoch eine böse Absicht, denn die Wurzel stammte von einem giftigen Baum und der Mann starb einige Tage nachdem er sie aß. Damit war der Tod in die Welt gekommen. In der Ausstellung zeigt eine Vitrine ein gruselig wirkendes Kaninchenpräparat, das aufrecht auf seinen Hinterbeinen steht und eine Wurzel in den Pfoten hält. Die Form der Wurzel erinnert an einen nackten menschlichen Körper.
Bevor die modernen Naturwissenschaften Einzug ins Denken der Menschen hielten, wurde die Wirkung von Giften vielfach mit Magie und übernatürlichen Mächten in Verbindung gebracht. Frauen, die sich mit den heilenden oder schädlichen Effekten pflanzlicher Wirkstoffe auskannten, wurde unterstellt, dass sie Hexen mit magischen Kräften seien. In der Ausstellung strahlt grünes Licht aus einem großen Kessel, um den lebensgroße Hexenpuppen versammelt sind. Es sind die drei Hexen aus William Shakespeares (1564-1616) Tragödie „Macbeth“, wie sie ein magisches Gebräu zusammenrühren, welches aus grausig klingenden Zutaten besteht:
„Eye of newt, and toe of frog, / Wool of bat, and tongue of dog, / […] Scale of dragon, tooth of wolf, / Witch’s mummy, maw and gulf“
Deutsche Übersetzung von Dorothea Tieck:
„Molchesaug und Unkenzehe, / Hundezung und Hirn der Krähe; / […] Wolfeszahn und Kamm des Drachen, / Hexenmumie, Gaum und Rachen“
Mit einigen der bei Shakespeare genannten Zutaten, die klingen als seien sie tierischen Ursprungs, sind in Wirklichkeit Pflanzen gemeint. So bezeichnet „Hundezung“ („tongue of dog“) die Gewöhnliche Hundszunge (Cynoglossum officinale). Die zungenförmigen Blätter dieser Pflanze sind für viele Organismen giftig und fanden früher Verwendung als Medizin. „Wolfeszahn“ („tooth of wolf“) verweist hingegen auf den äußerst giftigen Wolfs-Eisenhut (Aconitum lycoctonum).
Auch viele andere Autoren schrieben in ihren Werken über giftige Substanzen; und nicht selten wurden diese dort für Morde eingesetzt. So handelt Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“, welcher in einer Benediktinerabtei im 14. Jahrhundert spielt, von einem Pater, der einer Serie von Giftmorden auf der Spur ist.
Generell hat Gift als Mordwaffe für einen Täter den Vorteil, töten zu können, ohne dass direkter Kontakt zu seinem Opfer erforderlich ist. Dass Gifte aber trotzdem eindeutige Spuren hinterlassen, die beispielsweise mit chemischen Verfahren detektiert werden können, wird in der Ausstellung bei einer informativen und sehr unterhaltsamen Vorführung demonstriert. Mitten in den Ausstellungsräumen wird dabei in einem historischen Kriminalfall ermittelt.
In der Ausstellung werden auch verschiedene, liebevoll gestaltete interaktive Rätsel präsentiert, wie die Geschichte eines Streifenkauzes (Strix varia), der unter ungeklärten Umständen ums Leben kam. Der Besucher kann den Fall an Bildschirmen oder mit einer herunterladbaren App selbst lösen, indem er die Eule virtuell seziert und die Gegend auf mögliche Giftstoffe untersucht.
So gefährlich Gifte auch sind, nicht wenige der Substanzen können auch als wirksame Heilmittel eingesetzt werden. In einem Terrarium sitzt eine etwa handtellergroße haarige Vogelspinne. Es ist eine Rote Chile-Vogelspinne (Grammostola rosea). Das Gift, das sie durch ihren Biss injiziert, lähmt ihre Beute und hilft ihr diese zu verdauen. Forscher fanden heraus, dass eine Komponente des Spinnengiftes dafür sorgen kann, Herzrhythmusstörungen zu unterdrücken.
Insgesamt ist „The Power of Poison“ durch die Vielfalt an Texten, Bildern, Filmen und Objekten, lebenden Tieren, Modellen und interaktiven Elementen eine sehr abwechslungsreiche und unterhaltsame Ausstellung. Die gewählten Themen sind wissenschaftlich durchaus anspruchsvoll, werden aber dank der guten didaktischen Aufbereitung durchweg anschaulich präsentiert. Die Ausstellung wird noch bis zum 6. September 2015 in London zu sehen sein.